Part. 02
Gerade als ich an ihn dachte, kam er herein. Er war jetzt in Weiß gekleidet und trug ein kleines Teebrett mit etwas Kaffee und gekochtem Gemüse darauf. Ich konnte kaum einen Schauder des Widerwillens unterdrücken, als er sich liebenswürdig verbeugte und das Teebrett vor mir auf den Tisch stellte.
Dann war ich plötzlich starr vor Staunen. Unter dem strähnigen schwarzen Haar lugten spitze Ohren hervor, die mit feinem braunem Pelz bedeckt waren!
»Ihr Frühstück, Häer«, sagte er. Ich starrte ihm ins Gesicht, ohne eine Antwort zu versuchen. Er drehte sich um und ging zur Tür, während er mich sonderbar über die Schulter hinweg ansah.
Ich folgte ihm mit den Augen, und dabei stieg mir durch einen Trick unbewußter Gehirntätigkeit die Wortfolge in den Kopf: »Die Moreau – Gräber ...« Wie? »Die Moreau –?« Ah, mein Gedächtnis schweifte um zehn Jahre zurück. Die »Moreau-Greuel«. Die Worte trieben einen Moment zusammenhanglos in meinem Geist, und dann sah ich sie in roten Lettern auf einer lederfarbenen Broschüre, deren Lektüre einst so manchem Schauder über den Rücken gejagt hatte. Und dann fiel mir alles deutlich ein. Die längst vergessene Broschüre trat mir mit erschreckender Lebhaftigkeit wieder vor den Geist. Ich war noch ein Junge gewesen damals, und Moreau, glaube ich, etwa fünfzig; ein bedeutender und eigenwilliger Physiologe, in wissenschaftlichen Kreisen bekannt wegen seiner außerordentlichen Phantasie und brutalen Direktheit in der Diskussion. War dies derselbe Moreau? Er hatte einige sehr erstaunliche Tatsachen über Blutaustausch veröffentlicht, und er war bekannt durch wertvolle Arbeiten über krankhaftes Wachstum. Dann brach seine Karriere plötzlich ab. Er mußte England verlassen. Ein Journalist mit der vorsätzlichen Absicht, sensationelle Enthüllungen zu machen, verschaffte sich Zutritt zu seinem Laboratorium; durch einen scheußlichen Zufall – wenn es ein Zufall war – wurde seine gruslige Broschüre bekannt. Am Tage ihrer Veröffentlichung entkam ein elender Hund, dem die Haut abgezogen, und der auch sonst verstümmelt war, aus Dr. Moreaus Haus.
Es war in der Sauregurkenzeit, und ein prominenter Redakteur, ein Vetter des erwähnten Journalisten, appellierte an das Gewissen der Nation. Nicht zum erstenmal wandte sich das Gewissen gegen die Methoden der Forschung. Der Doktor wurde einfach aus dem Lande gebrüllt. Vielleicht hatte er's verdient, aber ich meine noch immer, die nur laue Unterstützung seiner Mitforscher und der Verrat der großen Masse der Wissenschaftler waren eine schmähliche Sache. Doch waren einige seiner Experimente nach dem Bericht des Journalisten leichtfertig und grausam gewesen. Er hätte vielleicht seinen sozialen Frieden erkaufen können, wenn er seine Untersuchungen aufgegeben hätte, aber offenbar waren sie ihm lieber, wie sie es wohl den meisten Menschen wären, die einmal dem überwältigenden Zauber der Forschung erlegen sind. Und er war unverheiratet und hatte daher nichts als seine eigenen Interessen zu berücksichtigen.
Ich war überzeugt, daß dies derselbe Mann war. Alles wies darauf hin. Mir dämmerte auf, zu welchem Zweck der Puma und die anderen Tiere, die sich jetzt mit dem Gepäck in der Ummauerung hinter dem Hause befanden, bestimmt waren; und ein seltsamer, schwacher Geruch, der Duft von etwas Vertrautem, ein Geruch, der mir bisher nur undeutlich bewußt gewesen war, trat plötzlich in die vorderste Reihe meiner Gedanken. Es war der antiseptische Geruch des Operationszimmers. Ich hörte den Puma durch die Mauer hindurch knurren, und einer der Hunde schrie auf, als würde er geschlagen.
Und doch wieder lag – und besonders für einen Wissenschaftler – in der Vivisektion nichts so Furchtbares, das diese Heimlichkeit erklärt hätte. Und plötzlich fielen mir die spitzen Ohren und leuchtenden Augen bei Montgomerys Begleiter wieder ein. Ich starrte hinaus aufs grüne Meer, das unter einer auffrischenden Brise schäumte, und ließ diese und andere seltsame Erinnerungen der letzten paar Tage an mir vorbeiziehen.
Was sollte das alles bedeuten? Eine verschlossene Ummauerung auf einer einsamen Insel, ein bekannter Wissenschaftler, der Vivisektionen durchführte, und diese verkrüppelten und verrenkten Menschen?
8. Der Schrei des Pumas
Montgomery unterbrach meine wirren Mystifikationen und argwöhnischen Vermutungen, und sein grotesker Diener folgte ihm mit einem Tablett, auf dem Brot, etwas Gemüse und andere Eßwaren, eine Flasche Whisky, ein Krug Wasser, drei Gläser und Messer lagen und standen. Ich blickte schräg nach diesem seltsamen Geschöpf und merkte, daß es mich mit seinen wunderlichen, rastlosen Augen beobachtete. Montgomery sagte, er wolle mit mir frühstücken, Moreau sei jedoch durch vorbereitende Arbeiten zu sehr in Anspruch genommen.
»Moreau!« sagte ich; »den Namen kenne ich.«
»Den Teufel kennen Sie ihn!« sagte er. »Was für ein Esel ich bin, ihn Ihnen zu nennen. Ich hätte's mir denken können. Auf jeden Fall wird er Ihnen eine Ahnung von unseren – Geheimnissen geben. Whisky?«
»Nein, danke – ich bin Abstinenzler.«
»Ich wollte, ich wär's gewesen. Aber es nützt nichts, die Tür zu verschließen, wenn der Gaul erst gestohlen ist. Das verdammte Zeug ist schuld, daß ich hier bin. Das und 'ne Nebelnacht. Ich hielt es damals für ein Glück, als Moreau mir anbot, mich mitzunehmen. Es ist seltsam ...«
»Montgomery«, sagte ich plötzlich, als sich die äußere Tür schloß; »warum hat Ihr Diener spitze Ohren?«
»Verdammt!« sagte er, an seinem ersten Bissen kauend. Er starrte mich einen Moment an, und dann wiederholte er: »Spitze Ohren?«
»Kleine Spitzen dran«, sagte ich so ruhig wie möglich, aber mein Atem stockte; »und ein feiner schwarzer Pelz an den Rändern.«
Er schenkte sich mit großem Bedacht Whisky und Wasser ein. »Ich hatte den Eindruck, als verdecke sein Haar die Ohren.«
»Ich sah sie, als er sich neben mir bückte, um den Kaffee auf den Tisch zu stellen, den Sie mir schickten. Und seine Augen leuchten im Dunkeln.«
Mittlerweile hatte Montgomery sich von der Überrumpelung durch meine Frage erholt. »Ich habe mir doch immer gedacht«, sagte er überlegt, und sein Lispeln verstärkte sich, »daß etwas mit seinen Ohren war. Nach der Art, wie er sie verdeckt hielt ... Wie sahen sie aus?«
Ich war überzeugt, daß seine Unwissenheit gespielt war. Und doch konnte ich dem Mann nicht gut sagen, daß ich ihn für einen Lügner hielt. »Spitz«, sagte ich; »ziemlich klein und pelzig – ausgesprochen pelzig. Aber der ganze Mann ist eines der seltsamsten Wesen, die mir je vor Augen gekommen sind.«
Ein scharfer, heiserer Schrei tierischen Schmerzes drang aus dem Hof hinter uns. Die Tiefe und die Lautstärke ließen auf den Puma schließen. Ich sah Montgomery zusammenzucken.
»Ja?« sagte er.
»Wo haben Sie das Geschöpf aufgelesen?«
»Err – San Francisco ... Er ist ein häßliches Vieh, das gebe ich zu. Mit halbem Verstand, wissen Sie. Kann sich nicht besinnen, wo er hergekommen ist. Aber ich bin an ihn gewöhnt, wissen Sie. Wir beide. Was für 'nen Eindruck macht er Ihnen?«
»Er ist unnatürlich«, sagte ich. »Er hat etwas ... Halten Sie mich nicht für albern, aber ich habe ein scheußliches Gefühl, meine Muskeln ziehen sich zusammen, wenn er mir nahe kommt. Es ist etwas ... kurz, er hat etwas Teuflisches.«
Montgomery hatte mit dem Essen aufgehört, während ich dies sagte. »Komisch«, sagte er. »Das kann ich nicht finden.«
Er begann wieder zu essen. »Ich hatte keine Ahnung davon«, sagte er kauend. »Die Mannschaft auf dem Schoner ... muß auch so empfunden haben ... Hetzten den armen Teufel ... Haben Sie den Kapitän gesehen?«
Plötzlich heulte der Puma wieder, diesmal schmerzlicher. Montgomery fluchte leise. Ich hatte Lust, ihn wegen der Leute am Strande anzugehen. Dann stieß das arme Vieh drinnen eine Reihe kurzer, scharfer Schreie aus.
»Ihre Leute am Strande«, sagte ich; »was für eine Rasse ist das?«
»Ausgezeichnete Kerle, nicht wahr?« erwiderte Montgomery abwesend und runzelte die Stirn, als das Tier scharf aufschrie. Ich sagte nichts mehr. Es folgte ein weiterer Schrei, schlimmer als der vorige. Montgomery sah mich mit seinen stumpfen grauen Augen an und trank noch etwas Whisky. Er versuchte mich in eine Diskussion über den Alkohol zu ziehen und beteuerte, er habe mir damit das Leben gerettet. Er schien Gewicht darauf legen zu wollen, daß ich ihm mein Leben verdankte. Ich antwortete ihm zerstreut. Dann war unser Mahl zu Ende, und das ungestalte Monstrum mit den spitzen Ohren räumte ab. Montgomery ließ mich wieder allein im Zimmer. Er war die ganze Zeit in einem Zustand schlecht beherrschter Gereiztheit über das Geheul des vivisezierten Pumas. Er sprach von seinem merkwürdigen Mangel an Nerven und überließ die auf der Hand liegende Erklärung für diesen Zustand mir.
Ich fand selber, daß die Schreie besonders enervierend waren, und sie nahmen an Tiefe und Intensität zu, als der Nachmittag vorrückte. Ihre beständige Wiederholung störte schließlich mein Gleichgewicht. Ich warf eine Horazübersetzung, in der ich gelesen hatte, hin und begann, die Fäuste zu ballen, mir die Lippen zu beißen und im Zimmer hin und her zu gehen. Dann hielt ich mir die Ohren zu.
Die aufwühlende Wirkung dieser Schreie auf mich wuchs beständig, sie wurden schließlich zu einem so vollendeten Ausdruck des Leidens, daß ich es in dem geschlossenen Raum nicht mehr aushielt. Ich trat aus der Tür in die schläfrige Hitze des Spätnachmittags hinaus, ging am Haupteingang vorbei – der, wie ich sah, wieder verschlossen war – und bog um die Mauerecke.
Das Schreien klang draußen noch lauter. Es war, als hätte aller Schmerz der Welt eine Stimme gefunden. Und doch – hätte ich gewußt, daß im Nebenzimmer solcher Schmerz zugefügt wurde, und wäre er stumm ertragen worden, ich glaube – so habe ich mir seither gedacht – ich hätte es ganz gut aushalten können. Erst, wenn das Leiden Ausdruck findet und unsere Nerven erbeben macht, quält uns das Mitleid. Aber trotz des hellen Sonnenscheins und der grünen Fächer der Bäume, die sich in der kühlenden Seebrise wiegten, schien mir die Welt ein Wirrsal zu sein, besudelt mit schwarzen und roten Phantasmen, bis ich außer Hörweite des Hauses und der bunten Mauer war.
9. Unheimliche Begegnungen
Ich wanderte durch das Gestrüpp, das den Hügel hinter dem Hause bedeckte, und achtete kaum darauf, wohin ich ging. Ich kam durch den Schatten dichter, geradstämmiger Bäume und befand mich alsbald auf der andern Seite des Hügelrückens, wo ich zu einem Bach niederstieg, der durch ein enges Tal floß. Ich stand still und horchte. Die Entfernung oder die dazwischen liegenden Dickichtmassen erstickten jeden Schall, der vielleicht noch aus der Ummauerung drang. Die Luft war still. Dann tauchte raschelnd ein Kaninchen auf und sprang den Hang vor mir hinauf und davon. Ich zögerte und setzte mich an den Rand des Schattens.
Die Stelle war hübsch. Der Bach war in der üppigen Vegetation der Ufer verborgen; nur an einer Stelle sah ich einen dreieckförmigen Ausschnitt seines glitzernden Wassers. Auf der anderen Seite entdeckte ich durch den bläulichen Nebel hindurch eine Wildnis von Bäumen und Schlinggewächsen und darüber das leuchtende Blau des Himmels. Hier und dort bezeichnete ein weißer oder roter Fleck die Blüte einer Luftpflanze. Ich ließ meine Augen eine Zeitlang über diese Szenerie wandern, und dann begann ich von neuem an die sonderbaren Eigenheiten von Montgomerys Diener zu denken. Aber es war zu heiß, um zusammenhängend zu denken; und bald verfiel ich in einen unruhigen Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachen.
Daraus weckte mich nach ich weiß nicht wie langer Zeit ein Rascheln in den Büschen am anderen Ufer. Einen Moment lang sah ich nichts als die wogenden Spitzen der Farne und Kräuter. Dann erschien plötzlich etwas am Ufer des Baches – erst konnte ich nicht erkennen, was es war. Es beugte den Kopf zum Wasser und begann zu trinken. Dann sah ich, daß es ein Mensch war, der wie ein Tier auf allen vieren ging!
Er war in bläuliches Tuch gekleidet, hatte kupferfarbene Haut und schwarzes Haar. Es schien, als wäre groteske Häßlichkeit das unabänderliche Merkmal dieser Insulaner. Ich konnte das Schlürfen der Lippen hören, als der Mensch trank.
Ich beugte mich vor, um ihn besser zu sehen, und ein Stück Lava, das meine Hand gelöst hatte, kollerte den Hang hinunter. Er blickte schuldbewußt auf, und seine Augen begegneten den meinen. Sofort sprang er auf die Füße, wischte sich mit seiner plumpen Hand den Mund und sah mich an. Seine Beine waren kaum halb so lang wie sein Rumpf. Wir starrten uns verwirrt an und verharrten so wohl eine Minute lang. Dann schlich der Kerl durch die Büsche rechts von mir davon, wobei er ein- oder zweimal stehenblieb, um zurückzublicken; ich hörte das Geräusch des Laubes in der Ferne schwächer werden und ersterben. Noch lange, nachdem er verschwunden war, blieb ich sitzen und starrte in die Richtung, die er eingeschlagen hatte. Meine schläfrige Ruhe war fort.
Ich erschrak über ein Geräusch hinter mir, wandte mich plötzlich um und sah den nickenden weißen Schwanz eines Kaninchens den Hang hinauf verschwinden. Ich sprang auf die Füße.
Die Erscheinung dieses grotesken, halbtierischen Geschöpfes vorhin hatte mir plötzlich die Stille des Nachmittags bevölkert. Ich sah mich ziemlich nervös um und bedauerte, daß ich unbewaffnet war. Dann fiel mir ein, daß der Mensch, den ich eben gesehen hatte, in bläuliches Tuch gekleidet war, daß er nicht nackt war, wie es ein Wilder gewesen wäre, und ich versuchte mir deshalb einzureden, daß er wahrscheinlich doch ein friedlicher Charakter sein müsse, trotz der stumpfen Wildheit seines Gesichts.
Und doch hatte mich die Erscheinung stark beunruhigt. Ich ging den Hang nach links hinauf, wendete den Kopf und blickte zwischen den Baumstämmen durch. Warum sollte ein Mensch auf allen vieren gehen und mit seinen Lippen trinken? Gleich darauf hörte ich wieder ein tierisches Klagen, und da ich es für das des Pumas hielt, wandte ich mich um und ging in der dem Schall diametral entgegengesetzten Richtung davon. Das führte mich zum Bach hinunter, den ich überschritt; und dann bahnte ich mir einen Weg durch das Unterholz.
Mich erschreckte ein großer, lebhafter Scharlachfleck am Boden, und als ich ihn näher betrachtete, sah ich, daß es eine sonderbare Schwammart war, verästelt und runzlig wie eine blättrige Flechte; aber bei der Berührung zerfloß sie zu Schleim. Und dann traf ich im Schatten einiger Farne auf etwas Unerfreuliches, den Leichnam eines Kaninchens, der mit glitzernden Fliegen bedeckt, aber noch warm war; der Kopf war abgerissen. Ich blieb beim Anblick des verspritzten Blutes erschrocken stehen. Hier zumindest war einer der Besucher der Insel umgebracht worden!
Spuren weiterer Gewalttat gab es nicht. Es sah aus, als sei das Kaninchen plötzlich angegriffen und getötet worden. Und als ich die kleine Leiche anstarrte, überlegte ich, wie die Sache wohl geschehen war. Die unbestimmte Angst, die ich verspürte, seit ich das unmenschliche Gesicht des Mannes am Bach gesehen hatte, wurde deutlicher, als ich dort stand. Ich erkannte, wie verwegen ich gewesen war, mich unter dieses unbekannte Volk zu wagen. Das Dickicht rings verwandelte sich in meiner Phantasie. Jeder Schatten wurde ein Hinterhalt, jedes Rascheln eine Drohung. Unsichtbare Wesen schienen mich zu beobachten.
Ich beschloß, zur Ummauerung am Strande zurückzukehren. Ich drehte mich plötzlich um und brach heftig – vielleicht sogar rasend – durch die Büsche, begierig, wieder offenen Raum vor mir zu haben.
Ich hielt gerade rechtzeitig inne, um nicht auf eine Lichtung hinauszulaufen, die vom Sturz eines Baumes herrührte; Sämlinge schossen schon hoch und rangen um den leeren Raum, und dahinter hatte sich das Dickicht von Stämmen, Schlingpflanzen und Schwamm und Blütenflecken schon wieder geschlossen. Vor mir, auf den morschen Überresten eines riesigen, gestürzten Baums, hockten, noch ohne meine Nähe zu ahnen, drei groteske menschliche Gestalten. Eine war offenbar weiblich. Die beiden anderen waren Männer. Sie waren nackt, bis auf scharlachfarbene Tuchbinden um die Mittelpartie, und ihre Haut war von stumpfer, rötlichgrauer Farbe, wie ich sie noch bei keinem Wilden gesehen hatte. Sie hatten fette, grobe Gesichter ohne Kinn, fliehende Stirnen und spärliches, borstiges Haar auf den Köpfen. Nie hatte ich bestialischer aussehende Geschöpfe gesehen.
Sie sprachen, oder wenigstens einer der Männer sprach zu den beiden anderen, und alle drei waren zu vertieft gewesen, um auf das Rascheln zu achten, als ich näher kam. Sie wiegten Köpfe und Schultern. Die Worte des Sprechers sprudelten rasch und schlampig hervor, und obgleich ich sie deutlich hören konnte, konnte ich nicht verstehen, was der Mann sagte. Er schien mir ein kompliziertes Rotwelsch zu sprechen. Plötzlich wurde seine Artikulation schriller; er breitete die Hände aus und erhob sich.
Da begannen die anderen im Chor zu schwätzen, während sie gleichfalls aufstanden, die Hände ausbreiteten und sich im Rhythmus ihres Singsangs hin und her wiegten. Mir fiel die abnorme Kürze ihrer Beine und die Plumpheit und Schlaffheit ihrer Füße auf. Alle drei begannen sich langsam im Kreis zu bewegen und mit den Füßen zu stampfen und die Arme zu schwingen; eine Art Melodie schlich sich in ihre rhythmische Rezitation, und ein Refrain – er klang etwa wie »Alula« oder »Balula«. Ihre Augen begannen zu funkeln, und ihre häßlichen Gesichter erhellten sich und zeigten den Ausdruck einer unheimlichen Freude. Aus ihren lippenlosen Mündern tropfte Speichel.
Plötzlich, als ich noch ihre grotesken und unerklärlichen Gesten beobachtete, merkte ich zum erstenmal klar, was mich so verstört hatte, was mir die beiden unvereinbaren und widerstreitenden Eindrücke äußerster Fremdartigkeit und seltsamster Vertrautheit vermittelt hatte. Die drei mit diesem geheimnisvollen Ritus beschäftigten Geschöpfe besaßen zwar menschliche Gestalt, erinnerten jedoch auf die seltsamste Weise an Haustiere. All diese Geschöpfe trugen trotz ihrer menschlichen Form und trotz der Andeutung von Kleidung in sich, in ihre Bewegungen, in den Ausdruck ihrer Gesichter, in ihr ganzes Wesen hinein verwoben, das unverkennbare Zeichen eines Tiers: immer wieder mußte ich bei ihrem Anblick an Schweine denken.
Ich stand da, überwältigt von dieser verblüffenden Entdeckung, und dann stürzten die furchtbarsten Fragen auf mich ein. Die Geschöpfe begannen in die Luft zu springen, erst eines und dann auch die anderen; sie schrien und grunzten. Dann glitt eines aus und stand einen Moment auf allen vieren; freilich erhob es sich sofort. Aber der flüchtige Blick auf das echte Tiertum dieser Ungeheuer war genug.
Ich wandte mich so geräuschlos wie möglich um, und erstarrte vor Angst, entdeckt zu werden, jedesmal, wenn ein Zweig knackte oder ein Blatt raschelte, als ich in die Büsche zurückwich. Es dauerte lange, ehe ich kühner wurde und mich frei zu bewegen wagte.
Mein einziger Gedanke war im Moment, von diesen widrigen Wesen fortzukommen, und ich achtete nicht darauf, daß ich auf einen kaum erkennbaren Pfad zwischen den Bäumen geraten war. Dann, als ich plötzlich über eine kleine Lichtung kam, sah ich mit unangenehmem Schreck zwei plumpe Beine zwischen den Bäumen, die mit geräuschlosen Schritten parallel zu meinem Weg gingen. Kopf und Oberleib waren hinter einem Gewirr von Schlingpflanzen verborgen. Ich blieb unvermittelt stehen. Die Füße ebenfalls. Ich war so nervös, daß ich den Impuls zu jäher Flucht nur mit größter Mühe beherrschte.
Dann blickte ich scharf hin und erkannte durch das verschlungene Netzwerk Kopf und Rumpf des Viehs, das ich hatte trinken sehen. Es bewegte den Kopf. In seinen Augen blitzte es smaragden, als es mich aus dem Schatten der Bäume heraus ansah, ein Aufleuchten, das verschwand, als es den Kopf wieder wandte. Es stand einen Moment regungslos, und dann begann es mit geräuschlosen Füßen durch die grüne Wirrnis zu laufen. Im nächsten Moment war es hinter einigen Büschen verschwunden. Ich konnte es nicht sehen, aber ich fühlte, daß es stehengeblieben war und mich wieder beobachtete.
Was um alles in der Welt war das – Mensch oder Tier? Was wollte es von mir? Ich hatte keine Waffe, nicht einmal einen Stock. Flucht wäre Wahnsinn gewesen. Auf jeden Fall fehlte dem Wesen der Mut, mich anzugreifen. Ich biß die Zähne zusammen und ging gerade darauf zu. Ich wollte ihm die Furcht nicht zeigen, die mir das Rückgrat lähmte. Ich zwängte mich durch ein Dickicht großer, weißblütiger Büsche und sah das Ungeheuer zwanzig Meter dahinter; es blickte mich über die Schulter an und zögerte. Ich ging einen oder zwei Schritte weiter und sah ihm fest in die Augen.
»Wer bist du?« fragte ich. Es versuchte, meinem Blick zu begegnen.
»Nein!« sagte es plötzlich, wandte sich und sprang von mir fort ins Unterholz. Dann wandte es sich von neuem und starrte mich an. Seine Augen glänzten hell aus der Dämmerung unter den Bäumen.
Mir klopfte das Herz im Halse, aber ich fühlte, daß meine einzige Chance Verwegenheit war, und ich ging unverwandt auf das Wesen zu. Es wandte sich wieder und verschwand im dunklen Gesträuch. Noch einmal meinte ich, das Glitzern seiner Augen zu erkennen. Doch dann war da nichts mehr.
Zum ersten Male wurde mir klar, welche Folgen die späte Stunde für mich haben konnte. Die Sonne war schon seit einigen Minuten untergegangen, die schnelle Dämmerung der Tropen verblich am östlichen Himmel, und ein erster Nachtfalter flatterte mir still am Kopf vorbei. Wollte ich nicht die Nacht inmitten der unbekannten Gefahren des geheimnisvollen Waldes verbringen, so mußte ich zur Ummauerung zurückeilen.
Der Gedanke an eine Rückkehr in diese schmerzerfüllte Zuflucht war mir äußerst zuwider, aber noch unangenehmer war der, im Freien von der Dunkelheit überrascht zu werden, und von allem, was dieses Dunkel verbergen mochte. Ich warf noch einen Blick in die blauen Schatten, die dieses merkwürdige Geschöpf verschlungen hatten, und suchte dann den Weg hinunter zum Bach zurück, wobei ich, meiner Meinung nach, die Richtung einschlug, aus der ich gekommen war.
Ich strebte, von all diesen Dingen beunruhigt, ungeduldig vorwärts und befand mich plötzlich auf einem ebenen Platz unter zersplitterten Bäumen. Die farblose Klarheit, die der Sonnenuntergangsröte folgt, wurde dunkler. Der blaue Himmel färbte sich intensiver, und die kleinen Sterne erschienen einer nach dem anderen; die Zwischenräume zwischen den Bäumen, die Lücken im Busch, die im blauen Tageslicht nebelblau gewesen waren, wurden schwarz und geheimnisvoll.
Ich eilte weiter. Jede Farbe verlosch. Die Baumwipfel hoben sich tintenschwarz von dem leuchtendblauen Himmel ab, und alles, was sich darunter befand, verschmolz in gestaltlosem Dunkel. Dann wurden die Bäume spärlicher, das strauchige Unterholz üppiger. Schließlich kam ich auf eine einsame Lichtung, die mit weißem Sand bedeckt war, und dann folgte wieder eine Strecke verwachsenen Buschwerks.
Ich erschrak von einem leisen Rascheln zu meiner rechten Hand. Erst dachte ich, es sei Einbildung, denn sooft ich stillestand, war alles ruhig, nur die Abendbrise strich durch die Baumwipfel. Wenn ich dann wieder weiterging, folgte meinen Schritten etwas wie ein Echo.
Ich zog mich vom Dickicht zurück, hielt mich auf offenem Grund und versuchte hin und wieder dieses Wesen, wenn es existierte, durch plötzliche Wendungen zu überraschen, sobald es auf mich zuschlich. Ich sah nichts, und trotzdem wuchs das Gefühl, daß noch jemand da war, beständig. Ich ging schneller und kam nach einiger Zeit zu einem sanften Hügelrücken; ich überschritt ihn, wandte mich scharf und blickte von der anderen Seite unverwandt hinauf. Der Rand stand schwarz und scharfumrissen vor dem dunklen Himmel.
Und gleich darauf schob sich einen Moment eine unförmige Masse vor die Himmelslinie und verschwand wieder. Ich war überzeugt, daß mich mein braungesichtiger Gegner neuerlich beschlich. Und zugleich damit erhielt ich die unangenehme Gewißheit, daß ich den Weg verloren hatte.
Eine Zeitlang eilte ich, von den unsichtbaren Schritten verfolgt, in hoffnungsloser Ungewißheit weiter. Was es auch war, dem Wesen fehlte es entweder an Mut, mich anzugreifen, oder es wartete, um mich an einer günstigen Stelle zu packen. Ich hielt mich sorgsam auf offenem Terrain. Ab und zu drehte ich mich um und horchte, und dann versuchte ich mir einzureden, daß mein Verfolger die Jagd aufgegeben habe oder nichts als ein Geschöpf meiner aufgeregten Phantasie sei. Da hörte ich das Rauschen des Meeres. Ich beschleunigte meine Schritte, dann lief ich, und sofort hörte ich hinter mir ein Stolpern.
Ich wandte mich plötzlich und starrte auf die Bäume hinter mir. Ein schwarzer Schatten schien sich mit einem anderen zu vereinigen. Ich horchte starr und hörte nichts als das Pochen des Blutes in meinen Ohren. Ich dachte, meine Nerven seien abgespannt und meine Phantasie täusche mich; ich wandte mich entschlossen wieder dem Rauschen des Meeres zu.
Nach etwa einer Minute erreichte ich eine kahle niedrige Landzunge, die in das düstere Wasser hineinragte. Die Nacht war ruhig und klar, und der Widerschein der Sterne zitterte im ruhigen Heben des Meeres. Eine Strecke weit draußen leuchtete die Brandung auf einem unregelmäßigen Band von Riffen in einem bleichen, eigenartigen Licht. Ich sah, wie sich im Westen das Zodiakallicht mit dem gelben Glanz des Abendsterns mischte. Die Küste fiel gegen Osten ab, und nach Westen zu war sie durch den Rücken des Vorgebirges verborgen. Dann besann ich mich auf die Tatsache, daß der Strand bei Moreaus Haus nach Westen lag.
Hinter mir brach ein Ast, und ich hörte ein Rascheln. Ich wandte mich um und stand vor den dunklen Bäumen. Ich konnte nichts sehen – und dennoch sah ich zuviel. Jeder Umriß im Dunkel wurde zu einer unheilvollen, lauernden Gestalt. So stand ich vielleicht eine Minute lang, und dann wandte ich mich, immer noch mit einem Auge auf den Bäumen, nach Westen, um über die Landzunge hinüberzugehen. Und sowie ich mich bewegte, bewegte sich auch einer der Schatten und folgte mir.
Mein Herz schlug rasch. Dann wurde die weite Fläche einer sich nach Westen öffnenden Bucht sichtbar und ich stand wieder still. Der geräuschlose Schatten hielt ein Dutzend Meter hinter mir. Ein kleiner Lichtpunkt glänzte an der ferneren Biegung des Ufers, und die graue Fläche der Sandbucht lag blaß unter dem Sternenlicht. Vielleicht zwei Meilen weit weg war jener kleine Lichtpunkt. Um an den Strand zu kommen, mußte ich durch den Wald gehen, wo die Schatten lauerten, und dann einen mit Sträuchern bewachsenen Hang hinunter.
Ich konnte das Wesen jetzt etwas deutlicher sehen. Es war kein Tier, denn es stand aufrecht. Da öffnete ich den Mund zum Sprechen und entdeckte, daß mir Schleim die Stimme erstickte. Ich versuchte es noch einmal und rief: »Wer ist da?« Es kam keine Antwort. Ich ging einen Schritt weiter. Das Wesen rührte sich nicht; spannte nur jeden Muskel. Mein Fuß stieß an einen Stein.
Da kam mir eine Idee. Ohne die Augen von der schwarzen Gestalt vor mir abzuwenden, bückte ich mich und hob den Stein auf. Aber bei meiner Bewegung wandte sich das Wesen unvermittelt, wie ein Hund, und schlich schräg ins Dunkel hinein. Dann fiel mir ein Schuljungenmittel gegen große Hunde ein; ich knotete den Stein in mein Taschentuch und schlang es mir ums Handgelenk. Ich hörte eine Bewegung im Unterholz, als ob das Wesen auf dem Rückzug sei. Da ließen meine Anspannung und Erregung plötzlich nach; ich brach in Schweiß aus und begann zu zittern, als mein Gegner floh, und ich diese Waffe in der Hand hatte.
Es dauerte einige Zeit, ehe ich den Entschluß fassen konnte, durch die Bäume und Büsche an der Flanke der Landzunge zum Strand hinunterzugehen. Schließlich lief ich los, und als ich aus dem Dickicht auf den Sand hinausrannte, hörte ich jemand anderen mir krachend nachstürzen.
Da verlor ich vor Angst vollständig den Kopf und begann den Sand entlang zu laufen. Sofort hörte ich das schnelle Geräusch weicher verfolgender Füße. Ich stieß einen wilden Schrei aus und verdoppelte meine Geschwindigkeit. Ein paar dunkle, schwarze Wesen, etwa drei- oder viermal so groß wie Kaninchen, hüpften vom Strand zu den Büschen hinauf, als ich vorüberlief. Solange ich lebe, werde ich an das Grauen dieser Jagd denken. Ich lief nah am Rande des Wassers und hörte von Zeit zu Zeit das Klatschen der Füße, die mich einholten. Fern, hoffnungslos fern war das gelbe Licht. Die Nacht um mich herum war schwarz und still. Klatsch, klatsch, kamen die Füße näher. Ich fühlte, wie mir die Luft ausging, denn ich war völlig untrainiert; der Atem pfiff, wenn ich ihn einzog, und in der Seite fühlte ich messerscharfen Schmerz. Ich wußte, das Wesen würde mich längst, ehe ich die Ummauerung erreichte, einholen – und verzweifelt und nach Atem ringend drehte ich mich um, stürzte darauf zu und traf es, als es herankam – traf es mit all meiner Kraft. Der Stein rutschte dabei aus der Schlinge heraus.
Als ich mich umwandte, erhob sich das Geschöpf, das auf allen vieren gelaufen war, und das Geschoß schlug genau gegen seine linke Schläfe. Der Schädel dröhnte laut und der Tiermensch stürzte auf mich zu, warf mich mit den Händen zurück, stolperte an mir vorbei und stürzte kopfüber auf den Sand, mit dem Gesicht ins Wasser. Und dort blieb er liegen.
Ich konnte mich nicht dazu überwinden, mich dem schwarzen Haufen zu nähern. Ich ließ ihn dort liegen, wo das Wasser sich unter den stillen Sternen um ihn herum kräuselte, und setzte meinen Weg fort, auf das gelbe Licht des Hauses zu. Und dann hörte ich plötzlich mit Erleichterung das jämmerliche Klagen des Pumas, das Geräusch, das mich ursprünglich hinausgetrieben hatte, diese geheimnisvolle Insel zu erforschen. Obgleich ich schwach und furchtbar ermattet war, nahm ich all meine Kraft zusammen und begann wieder, auf das Licht zuzulaufen. Mir war, als riefe mich eine Stimme.
10. Der Schrei des Menschen
Als ich mich dem Hause näherte, sah ich, daß das Licht aus der offenen Tür meines Zimmers drang; und dann hörte ich aus dem Dunkel neben dem gelben Viereck Montgomery rufen: »Prendick.«
Ich lief weiter. Gleich darauf hörte ich ihn wieder. Ich antwortete mit einem schwachen »Hallo!« und im nächsten Moment war ich bis zu ihm hingestolpert.
»Wo sind Sie gewesen?« fragte er und hielt mich in Armeslänge von sich weg, so daß mir das Licht aufs Gesicht fiel. »Wir haben beide so viel zu tun gehabt, daß wir Sie bis vor einer halben Stunde vergessen hatten.«
Er führte mich ins Zimmer und setzte mich in den Schiffsstuhl. Eine Zeitlang war ich vom Licht geblendet. »Wir dachten nicht, daß Sie sich aufmachen würden, um unsere Insel zu erforschen, ohne daß Sie es uns sagen«, meinte er. Und dann: »Ich hatte Angst! Aber ... was ... Hallo!«
Denn meine letzte Kraft wich von mir, und mir fiel der Kopf vorn auf die Brust. Ich glaube, er empfand eine gewisse Befriedigung, als er mir Brandy gab: »Um Gottes willen«, sagte ich, »machen Sie die Tür zu.«
»Sie sind ein paar von unseren Kuriositäten begegnet, eh?« fragte er. Er verschloß die Tür und wandte sich mir wieder zu. Er stellte mir keine Fragen, aber er gab mir noch etwas Brandy mit Wasser und drängte mich, zu essen. Ich war am Rande des Zusammenbruchs. Montgomery erklärte vage, er habe vergessen, mich zu warnen, und fragte mich kurz, wann ich das Haus verlassen und was ich gesehen hätte. Ich antwortete ihm ebenso kurz in fragmentarischen Sätzen. »Sagen Sie mir, was das alles bedeutet«, bat ich, dem Weinen nahe.
»Es ist nichts wirklich Furchtbares«, sagte er. »Aber mir scheint, Sie haben für einen Tag genug gehabt.« Der Puma stieß plötzlich einen scharfen Schmerzensschrei aus. Da fluchte er leise. »Ich laß mich hängen«, sagte er, »wenn's hier nicht ebenso schlimm ist wie in der Gower Street – mit den Katzen.«
»Montgomery«, fragte ich, »was war das für ein Wesen, das mir nachkam? War es ein Tier oder war es ein Mensch?«
»Wenn Sie heut' nacht nicht schlafen«, antwortete er, »haben Sie morgen früh den Verstand verloren.«
Ich stand auf. »Was war das für ein Wesen, das mir nachkam?« fragte ich.
Er blickte mir gerade in die Augen und verzog den Mund. Seine Augen, die eine Minute zuvor lebhaft ausgesehen hatten, wurden stumpf. »Nach Ihrer Beschreibung«, sagte er, »scheint mir, war es ein Popanz.«
Ich fühlte eine stürmische Gereiztheit, die so rasch verging, wie sie gekommen war. Ich warf mich wieder in den Stuhl und preßte die Hände gegen die Stirn. Der Puma heulte von neuem.
Montgomery trat von hinten auf mich zu und legte mir die Hand auf die Schulter. »Hören Sie, Prendick«, sagte er. »Ich hatte nicht vor, Sie allein auf diese unsere alberne Insel hinauswandern zu lassen. Aber es ist nicht so schlimm; wie's Ihnen scheint, Mann. Ihre Nerven sind in Fetzen. Ich will Ihnen etwas geben, damit Sie schlafen. Das ... das wird noch stundenlang so weitergehen. Sie müssen einfach schlafen, sonst garantiere ich für nichts.«
Ich antwortete nicht. Ich beugte mich nach vorn und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Gleich darauf kam er mit einer dunklen Flüssigkeit zurück. Die gab er mir. Ich nahm sie ohne Widerstand, und er half mir in die Hängematte.
Als ich aufwachte, war es heller Tag. Eine Zeitlang blieb ich liegen und starrte auf das Dach über mir. Die Sparren, bemerkte ich, waren aus Schiffsrippen gemacht. Dann drehte ich den Kopf und sah ein Mahl für mich auf dem Tisch bereit. Ich merkte, daß ich hungrig war, und wollte aus der Hängematte herausklettern; sie kam meiner Absicht zuvor, drehte sich um, und ich landete auf allen vieren auf dem Boden.
Ich stand auf und setzte mich an den Tisch. Ich hatte ein Gefühl der Schwere im Kopf und zunächst nur die unbestimmteste Erinnerung an die Dinge, die am Abend vorher geschehen waren. Die Morgenbrise blies erfrischend durch das Fenster, und das Frühstück vermehrte die Empfindung physischen Behagens. Plötzlich öffnete sich die Tür hinter mir, die innere Tür, die in den ummauerten Hof führte. Ich wandte mich und sah Montgomerys Gesicht. »In Ordnung?« fragte er. »Ich hab' furchtbar viel zu tun.« Und er schloß die Tür wieder. Nachher entdeckte ich, daß er sie zu versperren vergessen hatte.
Dann besann ich mich auf seinen Gesichtsausdruck am Abend vorher, und damit wurde die Erinnerung an alles, was ich erlebt hatte, wieder ganz klar. Gerade, als ich wieder Furcht empfand, hörte ich einen Schrei von drinnen. Aber diesmal war es nicht der Schrei eines Pumas.
Ich legte den Bissen nieder, den ich eben an die Lippen führte, und horchte. Stille – nur die Morgenbrise flüsterte. Ich dachte also, meine Ohren hätten mich getäuscht.
Nach einer langen Pause begann ich wieder zu essen, war aber immer noch gespannt. Dann hörte ich etwas anderes, sehr schwach und leise; dennoch wühlte es mich tiefer auf als alles, was ich bisher von den Greueln hinter der Mauer gehört hatte. Diesmal war ein Irrtum über die dumpfen, gebrochenen Töne nicht möglich, ebensowenig ein Zweifel über ihren Ursprung; denn es war ein Stöhnen, das von Schluchzen und qualvollem Keuchen unterbrochen wurde. Diesmal war es kein Tier. Es war ein menschliches Wesen auf der Folter.
Und als mir das klar war, stand ich auf, war in drei Schritten durchs Zimmer, faßte den Griff der Tür zum Hof und stieß sie auf.
»Prendick, Mann! Halt!« rief Montgomery dazwischenspringend. Ein erschreckter Hund bellte auf und knurrte. Ich sah Blut in der Abflußrinne, teils braun, teils scharlachrot, und ich roch den eigentümlichen Geruch der Karbolsäure. Dann sah ich durch eine offene Tür im gedämpften Licht eine unförmige Masse, die mühsam auf ein Rahmenwerk gebunden war: vernarbt, rot und bandagiert. Und dann erschien, diesen Anblick verdeckend, das Gesicht des alten Moreau, weiß und furchtbar.
Im Nu hatte er mich mit einer Hand, die rot besudelt war, an der Schulter gefaßt, herumgedreht und kopfüber in mein Zimmer zurückgeschleudert. Er hob mich hoch, als wäre ich ein kleines Kind. Ich fiel zu Boden, und die Tür schlug zu und verbarg mir sein erregtes und verzerrtes Gesicht. Dann hörte ich, wie der Schlüssel im Schloß gedreht wurde und Montgomery schimpfte.
»Die Arbeit eines Lebens ruinieren!« hörte ich Moreau sagen.
»Er versteht nichts«, sagte Montgomery, und noch anderes, was nicht zu hören war.
»Ich habe jetzt keine Zeit«, sagte Moreau.
Den Rest hörte ich nicht. Ich stand auf und zitterte; mein Geist wurde von den furchtbarsten Ahnungen durchzuckt. War es möglich, dachte ich, daß Moreau Menschen vivisezierte? Die Frage traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Und plötzlich verdichtete sich das Grauen in meiner Seele zu einer lebhaften Empfindung der Gefahr, in der ich mich befand.
11. Die Jagd auf den Menschen
Mir fiel ein, daß die äußere Tür meines Zimmers noch offenstand, was meine Hoffnung auf Rettung unvernünftig belebte. Ich war jetzt überzeugt, absolut überzeugt, daß Moreau ein menschliches Wesen viviseziert hatte. Die ganze Zeit über, seit ich seinen Namen gehört hatte, hatte ich versucht, das groteske Tiertum der Insulaner mit seinen Greueln in Verbindung zu bringen; und jetzt, meinte ich, durchschaute ich alles. Moreaus Werke über Blutübertragung fielen mir wieder ein. Diese Geschöpfe, die ich gesehen hatte, waren die Opfer eines scheußlichen Experiments!
Diese elenden Schurken hatten mich nur zurückhalten wollen, um mich mit ihrem gespielten Vertrauen zu ködern, und mir dann ein furchtbareres Schicksal zu bereiten als der Tod, mit Qualen und der scheußlichsten Erniedrigung, die denkbar war – um mich, eine verlorene Seele, ein Tier, den anderen ihrer Kreaturen hinzuzufügen. Ich sah mich nach einer Waffe um. Nichts. Dann drehte ich in einer Eingebung den Schiffsstuhl um, setzte den Fuß darauf und riß die Seitenlatte herunter. Zufällig bekam ich mit dem Holz einen Nagel heraus, der darinsteckte und der lächerlichen Waffe eine Spur von Gefährlichkeit verlieh. Ich hörte draußen Schritte und stieß die Tür schnell und heftig auf. Montgomery stand keinen Meter davon entfernt. Er hatte die äußere Tür verschließen wollen.
Ich hob meine Nagelstange und schlug gegen sein Gesicht, aber er sprang zurück. Ich zögerte einen Moment, dann wandte ich mich und floh um die Hausecke. »Prendick! Mensch!« hörte ich ihn erstaunt rufen. »Seien Sie kein alberner Esel, Mann!«
Noch eine Minute, dachte ich, und er hätte mich eingeschlossen, meinem Schicksal ausgeliefert wie die Versuchstiere an einer Klinik. Er kam um die Ecke herum, denn ich hörte ihn »Prendick!« rufen. Dann begann er, mir nachzulaufen, wobei er mir allerlei zurief.
Diesmal lief ich blind nach Nordosten, in eine andere Richtung als bei meinem ersten Ausflug. Einmal blickte ich, als ich so den Strand hinauflief, über die Schulter zurück und sah Montgomerys Diener. Ich rannte wütend den Hang hinauf, hinüber, und wandte mich dann nach Osten, in ein felsiges Tal, das auf beiden Seiten mit Gebüsch gesäumt war. Ich lief vielleicht eine Meile ununterbrochen; mein Atem flog und das Blut pochte mir in den Ohren. Als ich nichts mehr von Montgomery und seinem Diener hörte, schlug ich, da ich mich der Erschöpfung nahe fühlte, einen scharfen Haken, nach dem Strande zu, wie mir schien, und legte mich im Schutz eines Rohrgebüsches nieder.
Dort blieb ich lange Zeit, zu ängstlich, um mich zu rühren, ja zu ängstlich, um einen Aktionsplan zu entwerfen. Die Sonne brannte hernieder, und um mich herum, in dieser wilden Landschaft, herrschte Stille; das einzige Geräusch in meiner Nähe war das dünne Summen einiger kleiner Mücken, die mich entdeckt hatten. Dann wurde ich mir eines schläfrigen Schalles bewußt, der wie tiefes Atmen klang – das Rauschen des Meeres auf dem Strande.
Nach etwa einer Stunde hörte ich Montgomery weit im Norden meinen Namen rufen. Darüber begann ich an einen Aktionsplan zu denken. Wie ich jetzt meinte, war diese Insel nur von diesen zwei Vivisektoren und ihren Opfern bewohnt. Ein paar von denen konnten sie, wenn es nötig werden sollte, ohne Zweifel dazu zwingen, sie bei meiner Verfolgung zu unterstützen. Ich wußte, sowohl Moreau wie Montgomery hatten Revolver; und abgesehen von einer schwachen Tannenholzlatte, die mit einem kleinen Nagel beschlagen war – einem Spottbild von einer Keule –, war ich unbewaffnet.
So blieb ich liegen, wo ich lag, bis ich an Essen und Trinken denken mußte. Und in dem Moment ging mir die wirkliche Hoffnungslosigkeit meiner Lage auf. Ich wußte nicht, wie ich etwas zu essen bekommen sollte; ich verstand auch zuwenig von Botanik, um irgendwelche eßbare Wurzeln oder Früchte zu entdecken. Ich hatte auch kein Hilfsmittel, um die paar Kaninchen auf der Insel zu fangen. Je mehr ich meine Lage bedachte, um so trostloser erschien sie mir. Schließlich fielen mir in meiner Verzweiflung die Tiermenschen ein, denen ich begegnet war. Nacheinander besann ich mich auf alle, die ich gesehen hatte, und versuchte, mich daran zu erinnern, ob einer so ausgesehen hatte, als würde er mir vielleicht helfen.
Dann hörte ich plötzlich einen Hetzhund bellen, und damit wurde mir eine neue Gefahr bewußt. Ich nahm mir wenig Zeit zum Denken, sonst hätten sie mich da gefangen. Ich raffte meine Nagellatte auf und stürzte aus meinem Versteck jäh in Richtung Meer. Ich entsinne mich eines Gebüsches dorniger Pflanzen mit Stacheln, die wie Federmesser stachen. Ich kam blutend und mit zerrissenen Kleidern zu einer kleinen Bucht, die sich nach Norden öffnete. Ich ging, ohne eine Minute zu zögern, geradewegs ins Wasser und stand gleich darauf knietief in einer schwachen Strömung. Ich kletterte schließlich auf dem westlichen Ufer wieder heraus und kroch, während mir das Herz laut schlug, in ein Farndickicht, um den Ausgang abzuwarten. Ich hörte den Hund – es war nur einer – näher kommen und bellen, als er die Dornen erreichte. Dann hörte ich nichts mehr und begann zu glauben, daß ich entkommen war.
Die Minuten vergingen, die Zeit zog sich hin, und schließlich begann mir nach einer Stunde der Sicherheit der Mut zurückzukehren.
Mittlerweile war ich nicht mehr sehr in Angst und fühlte mich nicht mehr so elend. Denn ich hatte gleichsam die Grenze des Schreckens und der Verzweiflung überschritten. Ich fühlte jetzt, daß mein Leben praktisch verloren war, und dieses Gefühl machte mich fähig, alles zu wagen. Ich hatte sogar den Wunsch, von Angesicht zu Angesicht mit Moreau zusammenzutreffen. Und ich entsann mich, daß mir wenigstens noch ein Weg der Flucht vor der Qual offenblieb – sie konnten mich nicht gut daran hindern, mich selbst zu ertränken. Ich hatte beinahe Lust, mich zu ertränken, aber ein merkwürdiger Wunsch, das Abenteuer zu Ende zu sehen, ein wunderliches Zuschauerinteresse an mir selber hielten mich zurück. Ich streckte meine Glieder, die von den Dornenstichen wund waren, aus, und blickte um mich auf die Bäume; und plötzlich fiel mein Auge auf ein schwarzes Gesicht, das mich beobachtete.
Ich sah, daß es das affenartige Geschöpf war, das dem Boot am Strand entgegengekommen war. Der Kerl hing am schrägen Stamm einer Palme. Ich griff nach meinem Stock und sprang vor ihm auf. Er begann zu schwatzen. »Du, du, du«, war alles, was ich zunächst verstehen konnte. Plötzlich ließ er sich vom Baum fallen, bog die belaubten Zweige auseinander und starrte mich neugierig an.
Ich fühlte diesem Geschöpf gegenüber nicht den gleichen Widerwillen, den ich bei meinen Begegnungen mit den anderen Tiermenschen empfunden hatte. »Du«, sagte er, »im Boot.« Also war er ein Mensch – wenigstens ebensosehr Mensch wie Montgomerys Diener –, denn er konnte reden.
»Ja«, sagte ich, »ich bin im Boot gekommen. Vom Schiff.«
»Oh!« sagte er, und seine glänzenden, rastlosen Augen musterten mich, meine Hände, den Stock, den ich trug, meine Füße, die zerfetzten Stellen an meinem Rock und die Schnitte und Schrammen, die ich von den Dornen davongetragen hatte. Ihn schien etwas zu verwirren. Seine Augen glitten auf meine Hände zurück. Er hob seine eigene Hand und zählte langsam: »Eins, zwei, drei, vier, fünf – eh?«
Ich begriff noch nicht, was er meinte. Später sollte ich entdecken, daß ein großer Teil dieser Tiermenschen entstellte Hände hatte, denen bisweilen bis zu drei Finger fehlten. Da ich aber damals glaubte, dies sei ein Gruß, so tat ich das gleiche. Er grinste mit ungeheurer Befriedigung. Dann wanderte sein schneller, schweifender Blick wieder umher. Er machte eine rasche Bewegung und verschwand. Die Farne schlugen da, wo er gestanden war, zusammen.
Ich folgte ihm und war erstaunt, ihn mit seinem dürren Arm an einem Strick von Schlingpflanzen schwingen zu sehen, der aus dem Laub oben niederhing. Er wandte mir den Rücken zu.
»Hallo!« sagte ich.
Er landete mit einem wirbelnden Sprung auf dem Boden und stand vor mir. »Höre«, fragte ich, »wo kann ich etwas zu essen bekommen?«
»Essen!« sagte er. »Essen Menschennahrung jetzt.« Und seine Blicke schweiften wieder zu der Lianenschaukel. »Bei den Hütten.«
»Aber wo sind die Hütten?«
»Oh!«
»Ich bin neu hier, weißt du.«
Da drehte er sich um und ging mit schnellem Schritt davon. Alle seine Bewegungen waren merkwürdig rasch. »Komm mit«, sagte er. Ich ging mit ihm, um das Abenteuer zu Ende zu führen. Ich dachte mir, die Hütten, wo er und andere vom Tiervolk wohnten, wären primitive Behausungen. Ich würde die Tiermenschen vielleicht freundlich gesinnt finden, könnte vielleicht von ihrem Geist Besitz ergreifen. Ich wußte noch nicht, wie weit sie das menschliche Erbe vergessen hatten, das ich ihnen zuschrieb.
Mein affenartiger Begleiter trabte neben mir her; seine Hände hingen nieder, sein Kiefer war vorgeschoben. Ich fragte mich, wie es wohl um sein Gedächtnis bestellt sein mochte. »Wie lange bist du schon auf dieser Insel?« fragte ich.
»Wie lange?« sagte er. Und nachdem ich die Frage wiederholt hatte, hielt er drei Finger hoch. Das Geschöpf war nicht viel mehr als ein Idiot. Ich versuchte herauszubekommen, was er damit meinte, und anscheinend bereitete ihm das große Pein. Nach noch einer oder zwei Fragen lief er plötzlich von mir weg und sprang nach einer Frucht, die von einem Baume hing. Er riß eine Handvoll stachliger Hülsen herunter und ging essend weiter. Das sah ich mit Befriedigung, denn nun wußte ich, wo Nahrung zu finden war. Ich versuchte es noch mit ein paar anderen Fragen, aber er schnatterte rasche Antworten, die meinen Fragen oft ganz entgegenliefen. Ein paar paßten, andere waren wie von einem Papagei.
Ich beobachtete meinen Begleiter so scharf, daß ich kaum auf den Pfad achtete, dem wir folgten. Plötzlich kamen wir zu Bäumen, die ganz verkohlt und braun waren, und dann in eine öde, kahle Gegend, die mit gelbweißer Inkrustation bedeckt war, über die beißender Rauch trieb. Zu unsrer Rechten sah ich über einem nackten Felsrücken die blaue Fläche des Meeres. Der Pfad wand sich plötzlich in eine enge Schlucht, zwischen knotigen Massen schwärzlicher Lava hindurch. Dahinein gingen wir.
Der Gang wirkte nach dem blendenden Sonnenlicht und dem Widerschein vom schwefligen Boden außerordentlich dunkel. Die Wände ragten steil empor, der Pfad wurde immer enger. Grüne und rote Flecken schwammen mir vor den Augen. Mein Führer stand plötzlich still. »Zu Hause«, sagte er, und ich stand auf dem Boden eines Schlundes, der mir erst absolut finster erschien. Ich hörte einige seltsame Geräusche und rieb mir mit den Knöcheln der linken Hand die Augen. Ich wurde mir eines üblen Geruchs bewußt, der an einen schlecht gereinigten Affenkäfig erinnerte. Im Hintergrund öffnete sich der Fels wieder auf einen sanften Hang sonnenbeleuchteten Grüns, und zu beiden Seiten drang das Licht durch einen engen Schacht in das Dunkel.
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12. Die Sprecher des Gesetzes
Dann berührte etwas Kaltes meine Hand. Ich fuhr heftig zusammen und sah dicht vor mir ein blaßrosa Wesen, das den Eindruck eines gescholtenen und verschüchterten Kindes machte. Das Geschöpf hatte die milden, aber abstoßenden Züge eines Faultiers, dieselbe niedere Stirn und die langsamen Bewegungen. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich deutlicher. Das kleine faultierartige Geschöpf stand da und starrte mich an. Mein Führer war verschwunden.
Ich befand mich in einem Gang zwischen hohen Lavamauern; auf beiden Seiten bildeten geflochtene Seegrasmatten, Palmenfächer und Rohre, die gegen den Felsen lehnten, rohe und undurchdringlich dunkle, höhlenartige Verschlage. Der Weg, der sich dazwischen die Schlucht hinaufwand, war kaum drei Ellen breit und mit Haufen von faulendem Fruchtmark und anderem Abfall bestreut. Daher stammte also der unangenehme Gestank.
Das kleine rosige Faultiergeschöpf blinzelte mich noch an, als mein Affenmensch wieder erschien und mir winkte. Unterdessen kroch ein schwerfälliges Ungeheuer aus einer der Höhlen weiter oben in dieser seltsamen Straße, und da stand es nun vor dem hellen Grün im Hintergrund und starrte mich an. Ich zögerte – hatte beinahe Lust, den Weg, den ich gekommen war, zurückzustürzen – und dann faßte ich, entschlossen, das Abenteuer zu Ende zu führen, meinen Nagelstock etwa in der Mitte und folgte meinem Führer nach in das kleine übelriechende Loch.
Es war ein Raum von der Form eines halben Bienenkorbs, und gegen die Felsmauer an der Innenseite war ein Haufen verschiedener Früchte, Kokosnüsse und anderes aufgeschichtet. Einige plumpe Gefäße aus Lava und Holz standen am Boden umher, eins auch auf einem rohgezimmerten Schemel. Feuer gab es keines. Im dunkelsten Winkel der Hütte saß eine unförmige, dunkle Masse, die »He!« grunzte, als ich hereinkam, und mein Affenmensch stand im schwachen Licht der Tür und hielt mir eine gespaltene Kokosnuß hin, als ich in den anderen Winkel kroch und mich hinhockte. Ich nahm sie und begann trotz meiner Angst und der fast unerträglichen Stickigkeit der Höhle so heiter wie möglich daran zu nagen. Das kleine rosige Faultierwesen stand in der Öffnung der Hütte und noch ein anderes Geschöpf mit einem grauen Gesicht und glänzenden Augen starrte ihm über die Schulter.
»He!« tönte es aus dem geheimnisvollen Haufen gegenüber. »Es ist ein Mensch! Es ist ein Mensch!« schwätzte mein Führer. »Ein Mensch, ein Mensch, ein lebendiger Mensch wie ich.«
»Hör auf!« sagte die Stimme aus dem Dunkel und grunzte. Ich knabberte in eindrucksvoller Stille an meiner Kokosnuß. Ich spähte scharf in die Dunkelheit, konnte aber nichts erkennen. »Es ist ein Mensch«, wiederholte die Stimme. »Will er bei uns leben?« Es war eine heisere Stimme mit einem eigenartigen, pfeifenden Beiklang, aber die englische Aussprache war merkwürdig gut.
Der Affenmensch sah mich an, als erwarte er eine Antwort auf die Frage. »Er will bei euch leben«, sagte ich.
»Es ist ein Mensch. Er muß das Gesetz lernen.«
Allmählich nahm die unförmige Masse vor mir Gestalt an: dieses Geschöpf schien bucklig zu sein. Dann sah ich, daß der Eingang von zwei weiteren Köpfen verdunkelt wurde. Meine Hand faßte den Stock fester. Das Wesen im Dunkel wiederholte lauter: »Sage die Worte.« Ich hatte seine letzte Bemerkung überhört. »Nicht auf allen vieren gehen, das ist das Gesetz.« Es wiederholte sie in einer Art Singsang.
Ich war verwirrt. »Sage die Worte«, erklärte auch der Affenmensch, und die Gestalten am Eingang stimmten drohend mit ein. Ich merkte, daß ich diese idiotische Formel wiederholen mußte. Und dann begann eine wahnsinnige Zeremonie. Die Stimme im Dunkel intonierte Zeile für Zeile eine tolle Litanei, und ich und die anderen mußten sie nachsagen. Dabei wiegten sie sich hin und her und schlugen mit den Händen auf die Knie, und ich folgte ihrem Beispiel. Mir war, als sei ich tot und befände mich in einer anderen Welt. Die Dunkelheit, nur hie und da ein Lichtfleck, diese grotesken, undeutlichen Gestalten, und alle wiegten sich im Chor und sangen:
»Nicht auf allen vieren gehen; das ist das Gesetz. Sind wir nicht Menschen?«
»Nicht das Wasser schlürfen; das ist das Gesetz. Sind wir nicht Menschen?«
»Weder Fleisch noch Fisch essen; das ist das Gesetz. Sind wir nicht Menschen?«
»Nicht von Bäumen Rinde reißen; das ist das Gesetz. Sind wir nicht Menschen?«
»Keine anderen Menschen jagen; das ist das Gesetz. Sind wir nicht Menschen?«
Und so fort, vom Verbot dieser Akte der Torheit bis zu dem, was ich damals für das denkbar Tollste, Unmöglichste hielt. Eine Art rhythmischer Begeisterung befiel uns alle; wir schwätzten und wiegten uns schneller und wiederholten dieses erstaunliche Gesetz. Äußerlich hatte mich die Raserei dieser Tiermenschen erfaßt, aber tief in mir rangen Gelächter und Ekel miteinander. Eine lange Liste von Verboten wurde vorgetragen, und dann änderte sich die Litanei:
» Sein ist das Haus des Schmerzes.«
» Sein ist die Hand, die schafft.«
» Sein ist die Hand, die verwundet.«
» Sein ist die Hand, die heilt.«
Und so eine neue lange Serie hindurch, meist für mich ganz unverständliches Zeug über ihn, wer er auch sein mochte. Mir kam das alles vor wie ein Traum, aber noch nie hatte ich im Traum Gesang gehört.
» Sein ist der Blitz«, sangen wir. » Sein ist das tiefe, salzige Meer.«
Mir kam der furchtbare Gedanke, Moreau könne, nachdem er diese Menschen in Tiere verwandelt hatte, in ihre verkümmerten Gehirne das Gebot der Vergötterung seiner Person eingepflanzt haben. Aber ich sah zu deutlich rings um mich weiße Zähne und starke Klauen, als daß ich darum mit dem Singen aufgehört hätte. » Sein sind die Sterne am Himmel.«
Schließlich war der Gesang zu Ende. Ich sah das Gesicht des Affenmenschen vor Schweiß glänzen, und da meine Augen nun ans Dunkel gewöhnt waren, sah ich die Gestalt im Winkel deutlicher. Sie war groß wie ein Mensch, aber wie ein Skye-Pinscher mit stumpfem grauem Haar bedeckt. Was war sie? Was waren sie alle? Stellen Sie sich vor, Sie wären von den furchtbarsten Krüppeln und Wahnsinnigen umgeben, die man ersinnen kann, und Sie werden ein wenig von meinen Empfindungen verstehen, als mich diese grotesken Karikaturen umringten.
»Er ist ein Fünfmensch, ein Fünfmensch, ein Fünfmensch ... wie ich«, sagte der Affenmensch.
Ich hielt meine Hände hin. Das graue Geschöpf im Winkel beugte sich vor. »Nicht auf allen vieren laufen; das ist das Gesetz. Sind wir nicht Menschen?« fragte er. Er streckte eine seltsam entstellte Klaue aus und betastete meine Finger. Sie fühlte sich beinahe wie der Huf eines Hirsches an. Ich hätte vor Überraschung und Schmerz aufschreien mögen. Das Gesicht kam näher und die Augen blickten nach meinen Nägeln, und ich sah mit bebendem Ekel, daß es weder das Gesicht eines Menschen noch das eines Tieres war, sondern nichts als eine Masse grauen Haars mit drei Überwölbungen, die Augen und Mund markierten.
»Er hat kleine Nägel«, sagte das graue Geschöpf in seinem haarigen Bart. »Es ist gut.«
Er ließ meine Hand fallen, und instinktiv faßte ich meinen Stock. »Iß Wurzeln und Kräuter – es ist Sein Wille«, sagte der Affenmensch.
»Ich bin der Sprecher des Gesetzes«, erklärte die graue Gestalt. »Hierher kommen alle, die neu sind, um das Gesetz zu lernen. Ich sitze im Dunkel und sage das Gesetz.«
»So ist es«, stimmte eines der Tiere an der Tür zu.
»Arg sind die Strafen für die, die das Gesetz brechen. Keiner entkommt.«
»Keiner entkommt«, sagte das Tiervolk, und sie blickten sich verstohlen an.
»Keiner, keiner«, rief der Affenmensch. »Keiner entkommt. Sieh! Ich habe einmal etwas Geringfügiges getan, etwas Unrechtes. Ich schnatterte, schnatterte, sprach nicht mehr. Niemand konnte verstehen. Ich bin verbrannt, hab' ein Mal auf der Hand. Er ist groß. Er ist gut.«
»Keiner entkommt«, sagte das graue Wesen im Winkel.
»Keiner entkommt«, wiederholte das Tiervolk, und sie sahen sich von der Seite an.
»Was du willst, wissen wir nicht«, sagte der Sprecher des Gesetzes. »Wir werden es sehen. Manche wollen Dingen folgen, die sich bewegen, wollen wachen und schleichen, warten und springen, töten und beißen, beißen tief und reich, saugen das Blut ... Das ist schlimm. ›Keine anderen Menschen jagen; das ist das Gesetz. Sind wir nicht Menschen? Essen weder Fleisch noch Fisch; das ist das Gesetz. Sind wir nicht Menschen?‹«
»Keiner entkommt«, sagte ein scheckiges Vieh, das vor der Tür stand.
»Manche wollen mit Zähnen und Händen die Wurzeln der Pflanzen ausreißen«, sagte der Sprecher des Gesetzes, »und in der Erde schnüffeln ... Das ist schlimm.«
»Keiner entkommt«, brummte der Mann an der Tür.
»Andere schälen die Rinde von den Bäumen und manche kratzen die Gräber der Toten auf; manche kämpfen mit Stirn oder Füßen und Klauen; manche beißen plötzlich ohne Anlaß; manche lieben die Unsauberkeit.«
»Keiner entkommt«, sagte der Affenmensch und kratzte sich die Wade.
»Keiner entkommt«, sagte auch das kleine rosige Faultierwesen.
»Die Strafe ist hart und folgt auf dem Fuß. Also lerne das Gesetz. Sag' die Worte«, und sofort begann er die ganze seltsame Litanei vom Gesetz noch einmal, und noch einmal begannen ich und all diese Geschöpfe uns zu wiegen und zu singen. Mir wirbelte der Kopf von all dem Schnattern und dem stickigen Gestank, aber ich hielt aus und hoffte, ich würde schon eine Gelegenheit zu einem Einschreiten finden. »Nicht auf allen vieren gehen; das ist das Gesetz. Sind wir nicht Menschen?«
Wir machten einen solchen Lärm, daß ich von dem Aufruhr draußen nichts merkte, bis einer, ich glaube, es war einer von den beiden Schweinemenschen, die ich schon gesehen hatte, den Kopf über dem kleinen rosigen Faultierwesen hereinsteckte und aufgeregt etwas rief, etwas, was ich nicht verstand. Sofort verschwanden die, welche am Eingang der Hütte standen, mein Affenmensch stürzte hinaus, das Wesen, das im Dunkel gesessen war, folgte ihm – ich merkte nur, es war groß und plump und mit silbrigem Haar bedeckt – und ich blieb allein.
Da hörte ich, ehe ich noch die Öffnung erreichte, das Bellen eines Spürhundes.
Im nächsten Moment stand ich außerhalb der Hütte, meine Stuhllatte in der Hand; jeder Muskel an mir bebte. Vor mir sah ich die plumpen Rücken von vielleicht zwanzig Tiermenschen, die mißgestalteten Köpfe eingezogen. Sie gestikulierten aufgeregt. Andere halbtierische Gesichter blickten fragend aus den Hütten. Als ich in die Richtung schaute, wohin sie zeigten, sah ich durch den Nebel unter den Bäumen hinter dem Ende des Höhlengangs die dunkle Gestalt und das furchtbare weiße Gesicht Moreaus. Er hielt den springenden Hetzhund zurück; und dicht hinter ihm kam Montgomery, den Revolver in der Hand.
Einen Moment stand ich schreckgebannt still.