Part. 03
Ich wandte mich um und sah den Gang hinter mir von einem plumpen Tier mit riesigem grauem Gesicht und blinzelnden kleinen Augen versperrt, das auf mich zukam. Ich blickte umher und sah zu meiner Rechten, etwa sechs Meter vor mir, einen schmalen Spalt in der Felswand, durch den ein Lichtstrahl schräg in die Schatten fiel. »Halt!« rief Moreau, als ich darauf zuschritt. »Haltet ihn!« Da wandte sich erst ein Gesicht mir zu, und dann sahen mich alle an. Zum Glück arbeitete ihr Tierverstand nur langsam.
Ich rannte mit der Schulter gegen eines der plumpen Geschöpfe, das sich umdrehte, um zu sehen, was Moreau meinte, und schleuderte es gegen ein anderes. Ich fühlte, wie seine Hände herumflogen, nach mir griffen und mich verfehlten. Das kleine rosige Faultierwesen stürzte auf mich zu, ich warf es um, zerriß ihm das häßliche Gesicht mit dem Nagel an meinem Stock, und eine Minute darauf kletterte ich einen steilen Seitenpfad empor, eine Art schrägen Kamin, der aus der Schlucht führte. Ich hörte hinter mir Heulen und Rufen: »Fangt ihn!« »Haltet ihn!«, und das Geschöpf mit dem grauen Gesicht erschien hinter mir und zwängte seine Riesenmasse in den Spalt. »Weiter, weiter!« heulten sie. Ich kletterte den engen Spalt im Felsen hinauf und kam auf dem mit schwefelhältigem Gestein bedeckten Platz westlich vom Dorf der Tiermenschen heraus.
Dieser Spalt war mein Glück, denn der enge, sich schräg heraufwindende Weg muß die nächsten Verfolger aufgehalten haben. Ich lief über die weißgelbe Fläche und einen steilen Hang hinunter durch spärliches Gesträuch, und kam weiter unten zu einer mit hohem Schilf bewachsenen Ebene. Dahindurch arbeitete ich mich in ein dunkles, dichtes Strauchgebüsch, dessen Boden schwarz und feucht war. Als ich in das Schilf hineintauchte, erschienen meine ersten Verfolger aus dem Spalt. Die Luft dröhnte hinter mir und um mich von drohenden Rufen. Ich hörte das Krachen des Schilfs und hin und wieder das Knistern eines brechenden Zweiges. Einige von den Geschöpfen brüllten wie aufgeregte Raubtiere. Links von mir bellte der Spürhund. Ich hörte Moreau und Montgomery aus derselben Richtung rufen. Ich wandte mich scharf nach rechts. Mir schien noch, als hörte ich, wie Montgomery mir zuschrie, um mein Leben zu laufen.
Plötzlich gab der weiche und sumpfige Boden unter mir nach; ich war verzweifelt, stürzte jäh hin, arbeitete mich durch den knietiefen Morast und kam so zu einem gewundenen Pfad, der durch hohes Schilf führte. An einer Stelle sprangen drei seltsame, rosige, hüpfende Tiere, etwa so groß wie Katzen, vor meinen Füßen auf. Diesem Pfad folgte ich bergauf, über einen zweiten freien Platz mit weißer Inkrustation, und tauchte dann wieder in einen Schilfgürtel.
Dann krümmte sich der Weg plötzlich und führte am Rand eines steilwandigen Spalts entlang, der unvermutet wie ein Grenzgraben in einem englischen Park dalag. Ich lief noch mit aller Kraft, und ich sah diesen Abgrund erst, als ich bereits kopfüber durch die Luft flog.
Ich fiel mit Vorderarmen und Kopf in Dornen und stand mit blutendem Gesicht und einem zerrissenen Ohr auf. Ich war in eine steile Schlucht gestürzt, die dornig und felsig und von einem Nebel erfüllt war, der mich in Streifen umzog. Ein schmaler Bach, aus dem dieser Nebel stieg, durchfloß in Windungen die Schlucht. Ich war erstaunt über diesen dünnen Nebel mitten im vollen Glanz des Tageslichts, aber ich hatte keine Zeit, stillzustehen und mich zu wundern. Ich wandte mich nach rechts, flußabwärts, weil ich hoffte, so zum Meer zu kommen und mich dort notfalls ertränken zu können. Erst später merkte ich, daß ich im Fallen meinen Stock verloren hatte.
Dann wurde die Schlucht etwas enger, und ich stieg achtlos in den Bach. Ich sprang ziemlich schnell wieder heraus, denn das Wasser war fast kochendheiß. Ich sah auch, daß ein dünner, schwefliger Schaum auf dem wirbelnden Wasser trieb. Fast unmittelbar darauf kam eine Biegung, und ich sah den blauen Horizont. Auf dem nahen Meer blitzte das Sonnenlicht in Myriaden von Facetten. Ich sah den Tod vor mir. Aber ich schwitzte und war atemlos, und ich spürte, wie das warme Blut angenehm durch meine Adern floß. Ja, ich frohlockte sogar, daß ich meinen Verfolgern entgangen war. Ich hatte nicht die Kraft, jetzt hinzugehen und mich zu ertränken. Ich blickte zurück, woher ich gekommen war.
Ich lauschte. Abgesehen vom Summen der Mücken und vom Zirpen einiger kleiner Insekten, die durch die Dornen hüpften, war die Luft absolut still. Dann hörte ich, sehr leise, das Bellen eines Hundes und ein Schnattern und Schwatzen, den Knall einer Peitsche und Stimmen. Sie wurden lauter, dann wieder schwächer. Der Lärm zog den Bach hinauf und erstarb. Einstweilen war die Jagd vorüber.
Aber ich wußte jetzt, welche Hilfe ich von den Tiermenschen zu erwarten hatte.
13. Eine Unterredung
Ich wandte mich wieder um und ging zum Meer hinunter. Der heiße Bach erweiterte sich zu einem seichten, bewachsenen Delta, in dem eine Menge von Krebsen und langkörprigen, vielbeinigen Geschöpfen bei meinem Nahen davonkroch. Ich ging bis zum Rande des Salzwassers, und dann fühlte ich mich sicher. Ich drehte mich um und blickte, die Arme in die Hüften gestemmt, auf das dichte Grün hinter mir, in das die Schlucht wie eine rauchende Wunde hineinschnitt. Aber, wie gesagt, ich war zu aufgeregt und – das ist wahr, wenn auch jemand, der die Gefahr nie gekannt hat, vielleicht nicht daran glaubt – zu verzweifelt, um zu sterben.
Dann fiel mir ein, daß mir noch eine Möglichkeit blieb. Konnte ich nicht, während Moreau und Montgomery und ihr bestialischer Pöbel mich durch die Insel jagten, am Strand entlanggehen, bis ich zu dem ummauerten Hof kam? Einen Flankenmarsch um sie herum machen und dann vielleicht mit einem Stein aus der lose gebauten Mauer das Schloß der kleineren Tür zerschmettern und sehen, was ich finden konnte – Messer, Pistole, oder sonst etwas –, um mit ihnen zu kämpfen, wenn sie zurückkehrten?
Ich wandte mich also nach Westen und ging am Wasserrand entlang. Die untergehende Sonne blendete mich mit ihren heißen Strahlen. Die leichte Flut des Stillen Ozeans lief mit leisem Murmeln ein.
Plötzlich fiel die Küste nach Süden ab, und die Sonne war zu meiner Rechten. Dann sah ich unvermutet weit vor mir erst eine und dann mehrere Gestalten aus den Büschen auftauchen – Moreau mit seinem grauen Spürhund, dann Montgomery und noch zwei andere. Da stand ich still.
Sie sahen mich und begannen zu gestikulieren und auf mich zuzulaufen. Ich blieb stehen und beobachtete ihr Nahen. Die beiden Tiermenschen kamen herbeigerannt, um mich vom Gebüsch abzuschneiden. Montgomery lief geradewegs auf mich zu. Moreau folgte langsamer mit dem Hund.
Schließlich raffte ich mich auf, wandte mich seewärts und lief direkt ins Wasser. Das Wasser war erst sehr seicht. Ich war dreißig Meter weit draußen, ehe mir die Wellen bis an die Hüften reichten. Undeutlich sah ich, wie kleine Meerestiere vor meinen Füßen aufschreckten.
»Was treiben Sie, Mann?« rief Montgomery.
Ich wandte mich, bis an die Brust im Wasser stehend, um und starrte ihn an.
Montgomery stand atemlos am Rande des Wassers. Sein Gesicht war leuchtend rot vor Anstrengung, sein langes Flachshaar hing ihm wirr um den Kopf, und seine hängende Unterlippe gab die unregelmäßigen Zähne frei. Moreau kam gerade herzu, das Gesicht bleich und entschlossen, und der Hund, den er an der Leine führte, bellte mich an. Beide Männer trugen schwere Peitschen. Weiter oben am Strand warteten und glotzten die Tiermenschen.
»Was ich anfange? Ich will mich ertränken«, sagte ich.
Montgomery und Moreau sahen sich an. »Warum?« fragte Moreau.
»Weil das besser ist, als mich von Ihnen foltern zu lassen.«
»Ich sagte es Ihnen ja«, bemerkte Montgomery, und Moreau sprach im Flüsterton mit ihm.
»Warum meinen Sie, daß ich Sie foltern werde?« fragte Moreau.
»Wegen der Dinge, die ich gesehen habe«, sagte ich. »Und wegen der Geschöpfe da hinten.«
»Still!« sagte Moreau und hob die Hand.
»Ich will nicht«, sagte ich; »sie waren Menschen: was sind sie jetzt? Ich wenigstens will nicht wie sie sein.« Ich sah an den beiden vorbei. Am Strand standen M'ling, Montgomerys Diener, und eines von den weißbandagierten Tieren aus dem Boot. Weiter oben sah ich im Schatten der Bäume meinen kleinen Affenmenschen und hinter ihm noch andere undeutliche Gestalten.
»Wer sind diese Geschöpfe?« fragte ich, indem ich auf sie zeigte und meine Stimme mehr und mehr erhob. »Sie waren Menschen – Menschen wie Sie, Menschen, die Sie zu Sklaven gemacht haben, und die Sie noch fürchten. – Ihr, die ihr mich hört«, schrie ich und zeigte auf Moreau und rief die Tiermenschen an: »Ihr, die ihr mich hört! Seht ihr nicht, daß euch diese Menschen noch fürchten, daß sie in Angst vor euch umhergehen? Warum also fürchtet ihr sie? Ihr seid viele ...«
»Um Gottes willen«, rief Montgomery, »hören Sie auf, Prendick!«
»Prendick!« rief Moreau.
Beide schrien durcheinander, als wollten sie meine Stimme übertönen. Und hinter ihnen drohten die starren Gesichter der Tiermenschen; ihre Hände hingen herunter, ihre Schultern waren hochgezogen. Es schien, wie ich mir damals dachte, als versuchten sie, mich zu verstehen und sich auf etwas von ihrer menschlichen Vergangenheit zu besinnen.
Ich schrie weiter, ich weiß kaum mehr, was. Moreau und Montgomery könnten getötet werden; sie seien nicht zu fürchten: das hauptsächlich setzte ich dem Tiervolk in den Kopf – zu meinem eigenen Schaden, wie sich später herausstellen sollte. Ich sah den grünäugigen Mann mit den dunklen Lumpen, der mir am Abend meiner Ankunft begegnet war, aus den Bäumen hervorkommen, und andere folgten ihm, um mich besser zu hören.
Schließlich hielt ich inne, weil mir die Luft ausging.
»Hören Sie mich einen Moment an«, sagte Moreau mit fester Stimme, »und dann erklären Sie uns, was Sie wollen.«
»Gut«, sagte ich.
Er hustete, dachte nach und rief dann: »Latein, Prendick! Schlechtes Latein! Schuljungenlatein! Aber versuchen Sie zu verstehen. Hi non sunt homines, sunt animalia qui nos habemus ... viviseziert. Ein Vermenschlichungsprozeß. Ich will's Ihnen erklären. Kommen Sie an Land.«
»Das Wasser wird gerade hinten Ihnen tief und ist voller Haie.«
»Genau das Richtige für mich«, sagte ich. »Kurz und beinahe schmerzlos.«
»Warten Sie eine Minute.« Er nahm etwas Glitzerndes aus der Tasche und warf es vor seine Füße. »Das ist ein geladener Revolver«, sagte er. »Montgomery hier wird das gleiche tun. Jetzt gehen wir den Strand hinauf, bis Sie die Entfernung für sicher halten. Dann kommen Sie und nehmen Sie die Revolver.«
»Nein. Sie haben noch einen dritten.«
»Ich wollte, Sie überlegten sich die Sache, Prendick. Erstens habe ich Sie nie gebeten, auf diese Insel zu kommen; zweitens hatten wir Sie gestern nacht narkotisiert; hätten wir Ihnen etwas antun wollen, dann wäre das doch eine viel bessere Gelegenheit gewesen; und drittens, jetzt, wo Ihre Panik vorüber ist und Sie ein wenig denken können – sehen Sie doch Montgomery an; ist er wirklich der, für den Sie ihn halten? Wir haben Sie zu Ihrem Wohl gejagt. Weil diese Insel voller ... feindlicher Phänomene ist. Warum sollten wir Sie erschießen wollen, wenn Sie uns gerade anboten, sich zu ertränken?«
»Warum haben Sie Ihre ... Leute auf mich gehetzt?«
»Wir waren überzeugt, daß wir Sie fangen und außer Gefahr bringen könnten. Nachher verließen wir den Pfad – um Sie zu retten.«
Ich dachte nach. Es konnte stimmen. Dann fiel mir wieder etwas ein.
»Aber ich habe«, sagte ich, »in der Ummauerung ...«
»Das war der Puma.«
»Hören Sie, Prendick«, sagte Montgomery, »Sie sind ein alberner Esel. Kommen Sie aus dem Wasser, nehmen Sie die Revolver und reden Sie. Wir können dann nicht mehr tun, als wir jetzt könnten.«
Ich will gestehen, daß ich Moreau noch, ja, immer mißtraute und ihn fürchtete. Aber Montgomery war ein Mann, dem ich glaubte.
»Gehen Sie den Strand hinauf«, sagte ich, als ich nachgedacht hatte, und fügte hinzu: »und heben Sie die Hände.«
»Das kann ich nicht«, sagte Montgomery mit einem erklärenden Nicken über die Schulter. »Würdelos.«
»Dann gehen Sie zu den Bäumen hinauf«, antwortete ich, »wie Sie wollen.«
»Es ist eine verdammt alberne Zeremonie«, sagte Montgomery.
Er und Moreau drehten sich um und gingen auf die sechs oder sieben grotesken Geschöpfe zu, die dort im Sonnenlicht standen und Schatten warfen und sich bewegten und doch so unglaublich unreal waren. Montgomery knallte mit der Peitsche nach ihnen, und sofort wandten sich alle ab und flohen blindlings in den Wald. Und als Montgomery und Moreau sich genügend weit entfernt hatten, watete ich an Land, nahm die Revolver auf und prüfte sie. Um mich gegen jedwede Überlistung zu sichern, entlud ich einen, schlug damit gegen einen Lavaklumpen und hatte die Befriedigung, den Stein zerpulvert und den Strand mit Blei bespritzt zu sehen.
Noch zögerte ich einen Moment.
»Ich will's wagen«, erklärte ich schließlich, und mit einem Revolver in jeder Hand ging ich den Strand hinauf auf sie zu.
»So ist's besser«, sagte Moreau unverblümt. »Sie haben mir ohnehin schon den besten Teil des Tages mit Ihrer verdammten Einbildung verdorben.«
Und mit einem Anflug von Verachtung, der mich demütigte, machten er und Montgomery kehrt und gingen mir schweigend voran.
Die Tiermenschen standen noch immer verwundert hinter den Bäumen. Ich ging so unbefangen wie möglich an ihnen vorbei. Einer fuhr auf und wollte mir folgen, aber er zog sich zurück, als Montgomery mit der Peitsche knallte. Die anderen blieben schweigend stehen – sie beobachteten mich. Vielleicht waren sie einmal Tiere gewesen. Aber ich hatte noch nie gesehen, daß Tiere zu denken versuchten.
14. Doktor Moreau erklärt
»Und jetzt, Prendick, will ich es Ihnen erklären«, sagt Doktor Moreau, nachdem wir gegessen und getrunken hatten. »Ich muß gestehen, Sie sind der diktatorischste Gast, den ich je bewirtet habe. Ich warne Sie, dies ist das letzte, was ich tue, um Ihnen gefällig zu sein. Das nächste Mal, wenn Sie mit Selbstmord drohen, werde ich nicht mehr tun, was Sie verlangen – selbst um den Preis einiger persönlicher Unannehmlichkeiten.«
Er saß in meinem Schiffsstuhl, eine halb aufgerauchte Zigarre in den weißen, geschickt aussehenden Fingern. Das Licht der Lampe fiel auf sein weißes Haar; er blickte durch das kleine Fenster in den Sternenschein hinaus. Ich saß ihm so fern wie möglich, den Tisch zwischen uns, die Revolver zur Hand. Montgomery war nicht anwesend. Ich wünschte nicht, sie in einem so kleinen Zimmer beide gegen mich zu haben.
»Sie geben zu, daß das vivisezierte menschliche Wesen, wie Sie es nennen, schließlich doch nur der Puma ist?« fragte Moreau. Er hatte mich in das innere Zimmer geführt, um mich davon zu überzeugen, daß die Schreie, die ich gehört hatte, nicht von einem Menschen stammten.
»Es ist der Puma«, sagte ich, »noch lebendig, aber zerschnitten und verstümmelt; und ich hoffe, lebendiges Fleisch nie wieder in einem solchen Zustand zu sehen. Von allen gemein ...«
»Einerlei«, erwiderte Moreau. »Wenigstens verschonen Sie mich mit diesem jugendlichen Abscheu. Montgomery war genauso. Sie geben zu, es ist der Puma. Jetzt seien Sie ruhig, während ich Ihnen meinen physiologischen Vortrag abhasple.« Und alsbald begann er im Ton eines Mannes, der sich höchlich langweilt, wurde dann etwas lebhafter und setzte mir sein Werk auseinander. Er sprach sehr einfach und überzeugend. Hin und wieder verriet seine Stimme etwas Sarkasmus. Bald war mir heiß vor Scham über unsere Auseinandersetzung.
Die Geschöpfe, die ich gesehen hatte, waren keine Menschen, waren nie Menschen gewesen. Es waren Tiere – vermenschlichte Tiere – Triumphe der Vivisektion.
»Sie vergessen, was ein geschickter Vivisektor mit lebendigen Wesen alles vermag«, sagte Moreau. »Ich für mein Teil kann mir nicht erklären, warum das, was ich hier getan habe, nicht schon früher versucht wurde. Kleine Experimente sind natürlich gemacht worden – Amputationen, Zungenschnitte, Exzisionen. Natürlich wissen Sie, daß der Chirurg Schielen hervorrufen wie auch heilen kann. Ferner kann man durch Exzisionen eine ganze Reihe von sekundären Veränderungen, Pigmentstörungen, Modifikationen des Trieblebens, Wandlungen in der Sekretion der Fettgewebe bewirken. Ich zweifle nicht, daß Sie von diesen Dingen gehört haben?«
»Natürlich«, sagte ich. »Aber diese Ihre scheußlichen Geschöpfe ...«
»Alles zu seiner Zeit«, sagte er mit einer Handbewegung; »ich fange erst an. Das sind triviale Fälle der Veränderung. Die Chirurgie vermag Besseres als das. Es gibt sowohl ein Aufbauen wie ein Niederreißen und Verändern. Sie haben vielleicht von einer ganz gewöhnlichen Operation gehört, die man bei Fällen durchführt, bei denen die Nase arg entstellt wurde. Man schneidet ein Stück Haut aus der Stirn, klappt es auf die Nase herunter, und es verheilt in der neuen Lage. Dabei handelt es sich um eine Verpflanzung an ein und demselben Tier. Transplantation frisch gewonnenen Materials von einem anderen Tier ist gleichfalls möglich – bei Zähnen, zum Beispiel. Die Verpflanzung von Haut und Knochen erfolgt, um die Heilung zu erleichtern. Der Chirurg legt mitten in die Wunde Hautstückchen, die von einem anderen Tier genommen sind, oder Knochenfragmente von einem frisch getöteten Tier. Hunters Hahnensporn – vielleicht haben Sie davon gehört – wuchs am Nacken eines Stiers an. Denken Sie auch an die Rhinozerosratten der Algierzuaven – Monstra, die man erzeugte, indem man ein Stück vom Schwanz einer gewöhnlichen Ratte auf ihre Schnauze verpflanzte und es dort anheilen ließ.«
»Künstliche Ungeheuer!« sagte ich. »Also wollen Sie mir sagen ...«
»Ja. Diese Geschöpfe, die Sie gesehen haben, sind neu gestaltete und geformte Tiere. Dem – dem Studium der Bildung lebendiger Formen – ist mein Leben gewidmet gewesen. Ich habe jahrelang studiert und gewinne beständig an Wissen. Ich sehe, Sie schauen entsetzt drein, und doch erzähle ich Ihnen nichts Neues. Das alles lag schon vor Jahren im Bereich der Möglichkeiten der praktischen Anatomie, aber niemand hatte die Verwegenheit, daran zu rühren. Ich kann nicht nur die äußere Form eines Tieres verändern. Auch die Physiologie, den Stoffwechsel des Geschöpfes kann man einer dauernden Modifikation unterwerfen; sicherlich sind Ihnen die Impfung und andere Methoden der Inokulation mit lebendem oder totem Stoff vertraut. Ähnlich verhält es sich mit der Transfusion des Blutes, von der ich ausgegangen bin. Das alles sind vertraute Verfahren. Weniger bekannt und wahrscheinlich weit umfassender waren die Operationen jener mittelalterlichen Ärzte, die Zwerge und Krüppel und Schauungeheuer erzeugten; von ihrer Kunst haben sich noch einige Spuren in der Präliminarbehandlung des jungen Seiltänzers oder Schlangenmenschen erhalten. Victor Hugo schildert sie in L'Homme qui rit ... Aber vielleicht wird jetzt klar, was ich meine. Sie beginnen einzusehen, daß es möglich ist, Gewebe von einem Teil eines Tieres auf einen anderen, oder von einem Tier auf ein anderes zu übertragen, seine chemischen Reaktionen und Wachstumsmethoden zu ändern, die Gelenke seiner Gliedmaßen zu modifizieren und es sogar in seiner innersten Struktur zu verwandeln?
Und doch ist dieser außerordentliche Wissenszweig von modernen Forschern nie methodisch und gesondert untersucht worden, bis ich mich seiner annahm! Die meisten Beispiele, die Ihnen einfallen werden, sind gleichsam zufällig demonstriert worden – von Tyrannen, Verbrechern, von Pferde- und Hundezüchtern, von allerlei ungeübten, plumphändigen Menschen, die für ihre eigenen, unmittelbaren Zwecke arbeiteten. Ich war der erste, der diese Frage, in der antiseptischen Chirurgie wohl bewandert und mit wirklich wissenschaftlicher Kenntnis der Gesetze des Wachstums, in Angriff genommen hat.
Und doch sollte man annehmen, daß derartiges schon heimlich betrieben worden sein muß. Wesen wie die Siamesischen Zwillinge ... Und in den Gewölben der Inquisition. Ohne Frage war ihr Hauptziel kunstgerechtes Foltern, aber wenigstens einige der Inquisitoren müssen eine Spur von wissenschaftlichem Forschungsdrang gehabt haben.«
»Aber«, sagte ich. »Diese Dinger – diese Tiere sprechen!«
Er sagte: »Ja«, und ging dazu über, auseinanderzusetzen, daß die Möglichkeiten der Vivisektion nicht bloß auf physische Metamorphose beschränkt sind. Ein Schwein kann erzogen werden. Die geistige Struktur ist weit weniger festgelegt als die körperliche. Die Wissenschaft des Hypnotismus bietet die Möglichkeit, alte Instinkte durch neue Suggestionen zu ersetzen, die auf die ererbten fixen Ideen aufgepfropft werden oder sie verdrängen. Vieles von dem, was wir moralische Erziehung nennen, ist eine solche künstliche Veränderung und Perversion des Instinkts; Kampflust wird in mutige Selbstaufopferung umgebildet, unterdrückte Sinnlichkeit in religiöse Erregung. Und der große Unterschied zwischen Mensch und Affe liegt im Kehlkopf, sagte er, in der Unfähigkeit, fein unterschiedene Klangsymbole zu formen, durch die das Denken unterstützt wird. Darin konnte ich ihm nicht beistimmen, aber Moreau beachtete meinen Einwand überhaupt nicht. Er wiederholte, es sei so, und fuhr im Bericht von seiner Arbeit fort.
Aber ich fragte ihn, warum er die menschliche Gestalt zum Modell genommen habe. In dieser Wahl schien mir damals und scheint mir noch jetzt eine tiefe Bosheit zu liegen.
Er gestand, er habe die Form zufällig gewählt.
»Ich hätte ebensogut darauf hinarbeiten können, Schafe in Lamas und Lamas in Schafe zu verwandeln. Ich vermute, irgend etwas in der menschlichen Gestalt appelliert mächtiger an die künstlerische Veranlagung als es eine tierische Form kann. Aber ich habe mich nicht darauf beschränkt, Menschen zu machen. Ein- oder zweimal ...« Er schwieg vielleicht eine Minute lang. »Diese Jahre! Wie sie hingeglitten sind! Und da habe ich einen Tag verschwendet, um Ihnen das Leben zu retten, und jetzt verschwende ich eine Stunde, um meine Haltung zu erklären!«
»Aber«, sagte ich, »ich verstehe noch immer nicht. Wo bleibt Ihre Rechtfertigung dafür, daß Sie all diese Schmerzen verursachen? Das einzige, was in meinen Augen die Vivisektion entschuldigen könnte, wäre eine Anwendung ...«
»Ganz recht«, sagte er. »Aber Sie sehen, ich bin anderer Meinung. Wir vertreten verschiedene Grundsätze. Sie sind Materialist.«
»Ich bin kein Materialist«, begann ich hitzig.
»In meinen Augen – in meinen Augen. Denn gerade diese Frage des Schmerzes trennt uns. Solange ein sichtbarer oder hörbarer Schmerz Ihnen Übelkeit verursacht, solange Ihre eigenen Schmerzen Sie treiben, solange Schmerz für Sie mit Sünde zusammenhängt, solange, sage ich Ihnen, sind Sie ein Tier, das etwas weniger dunkel fühlt, was jedes andere Tier auch fühlt. Dieser Schmerz ...«
Ich zuckte über solche Sophisterei die Achsel.
»Oh! Aber es ist eine solche Kleinigkeit. Ein Geist, der sich dem, was die Wissenschaft uns zu lehren hat, wahrhaft öffnet, muß einsehen, daß es eine Kleinigkeit ist. Vielleicht kommt außer auf diesem kleinen Planeten, diesem Fleck kosmischen Staubes, den man längst nicht mehr sähe, ehe man den nächsten Stern erreichte – vielleicht, sage ich, kommt dies, was wir Schmerz nennen, sonst nirgends vor. Aber die Gesetze, die wir tastend suchen ... Ah, selbst auf unserer Erde, selbst unter lebenden Wesen, was ist da der Schmerz?«
Er zog, während er sprach, ein kleines Federmesser aus der Tasche, öffnete die kleinere Klinge und rückte seinen Stuhl so, daß ich seinen Schenkel sehen konnte. Dann wählte er bedachtsam eine Stelle, stieß das Messer in sein Bein und zog es wieder heraus.
»Ohne Zweifel haben Sie derlei schon gesehen. Es tut nicht so weh wie ein Nadelstich. Aber was zeigt es? Im Bereich des Muskels ist Schmerzempfindung nicht nötig und nicht vorhanden; sie ist nur wenig nötig in der Haut, und nur hier und dort gibt es auf dem Schenkel schmerzempfindliche Stellen. Der Schmerz ist nichts anderes als unser innerer ärztlicher Ratgeber, um uns zu warnen und anzustacheln. Nicht alles lebendige Fleisch ist schmerzempfindlich, auch nicht alle Nerven sind es, nicht einmal alle Empfindungsnerven. In den Empfindungen des Sehnervs gibt es keine Spur von Schmerz, wirklichem Schmerz. Wenn Sie den Sehnerv verwunden, sehen Sie nur Lichtblitze, genau wie Erkrankung des Gehörnervs nur Summen in den Ohren hervorruft. Pflanzen fühlen keinen Schmerz; die niederen Tiere – es kann sein, daß solche Tiere wie der Seestern und der Krebs keinen Schmerz empfinden. Und dann die Menschen: je intelligenter sie werden, mit um so mehr Intelligenz werden sie für ihr eigenes Wohlbefinden sorgen, und um so weniger werden sie den Stachel nötig haben, der sie vor Gefahr warnen soll. Ich habe noch von keinem nutzlosen Ding gehört, das nicht durch die Evolution früher oder später aus dem Dasein ausgemerzt worden wäre. – Sie etwa? Und der Schmerz wird nutzlos.
Und dann bin ich ein religiöser Mensch, Prendick, wie es jeder vernünftige Mensch sein muß. Vielleicht bilde ich mir ein, mehr von den Wegen des Schöpfers dieser Welt gesehen zu haben als Sie – denn ich habe auf meine Weise mein ganzes Leben lang nach seinen Gesetzen gesucht, während Sie, wie ich höre, Schmetterlinge gesammelt haben. Und ich sage Ihnen, Schmerz und Lust haben mit Himmel und Hölle nichts zu tun. Schmerz und Lust – Bah! Was ist Ihre Theologenekstase anderes als Mahomets Huri im Dunkel? Dieser Wert, den Männer und Frauen auf Schmerz und Lust legen, Prendick, ist das Zeichen des Tiers in ihnen – das Zeichen des Tiers, von dem sie gekommen sind. Schmerz! Schmerz und Lust – sie gibt es nur, solange wir uns im Staube winden ...
Sie sehen, ich bin mit diesen Forschungen genau den Weg gegangen, den sie mich führten. Ich stellte eine Frage, ersann eine Methode, eine Antwort zu bekommen und stieß auf – eine neue Frage. War dies oder das möglich? Sie können sich vorstellen, was das für einen Forscher heißt, was für eine intellektuelle Leidenschaft ihn überkommt. Sie können sich jedoch nicht vorstellen, was für einen seltsamen, farblosen Genuß diese geistigen Wünsche schaffen. Das Wesen da vor Ihnen ist kein Tier mehr, kein Mitgeschöpf, sondern ein Problem. Mitleid – alles was ich davon weiß, ist, daß ich vor Jahren daran litt. Ich wollte – das war das einzige, was ich wollte – die äußerste Grenze der Gestaltungsmöglichkeit in einer lebenden Form finden.«
»Aber«, sagte ich, »die Sache ist ein Greuel –« »Bis auf diesen Tag hab' ich mich um die Ethik der Angelegenheit noch nie bekümmert. Das Studium der Natur macht den Menschen schließlich so gewissenlos, wie die Natur selbst ist. Ich bin vorwärts gegangen, ohne mich um irgend etwas anders zu kümmern als um die Frage, die ich verfolgte, und das Material ist ... in die Höhlen dort gewandert ... Es ist fast elf Jahre, seit wir hierherkamen, ich und Montgomery und sechs Kanaken. Ich erinnere mich an die grüne Stille der Insel und des Ozeans um uns, als wäre es gestern gewesen. Die Insel schien auf mich zu warten.
Die Vorräte wurden gelandet, und das Haus wurde gebaut. Die Kanaken errichteten bei der Schlucht ein paar Hütten. Ich machte mich hier mit dem, was ich mitgebracht hatte, an die Arbeit. Erst passierten ein paar unangenehme Dinge. Ich begann mit einem Schaf und tötete es nach anderthalb Tagen, weil mir das Skalpell ausglitt; ich nahm ein anderes Schaf und machte daraus ein Wesen voll von Schmerz und Furcht und ließ es dann, zum Heilen verbunden, liegen. Es erschien mir ganz menschlich, als ich fertig war, aber später war ich unzufrieden damit; es erinnerte sich an mich und hatte unvorstellbare Angst und nur einen Schafsverstand. Je mehr ich es ansah, um so plumper schien es mir, bis ich das Ungeheuer schließlich aus seinem Elend erlöste. Diese Tiere ohne Mut, diese angstgeplagten, schmerzgetriebenen Wesen ohne einen Funken kämpferischer Energie, mit der sie der Qual entgegentreten können – die taugen nicht zur Umwandlung in Menschen.
Dann nahm ich einen Gorilla, und daraus machte ich, indem ich mit unendlicher Sorgfalt arbeitete und Schwierigkeit nach Schwierigkeit überwand, meinen ersten Menschen. Die ganze Woche lang formte ich Tag und Nacht an ihm. Hauptsächlich das Gehirn mußte umgebildet, viel mußte hinzugefügt, viel geändert werden. Ich fand, der Gorilla sei ein schönes Beispiel des Negertypus, als ich fertig war und er bandagiert, gebunden und reglos vor mir lag. Erst als es sicher war, daß er am Leben bleiben würde, verließ ich ihn und fand Montgomery so ziemlich in der gleichen Verfassung vor, in der Sie jetzt sind. Er hatte ein paar von den Schreien gehört, als das Tier menschlich wurde, Schreie wie die, die Sie so verstörten. Ich zog ihn anfangs nicht ganz ins Vertrauen. Und auch die Kanaken hatten etwas gemerkt. Sie waren bei meinem Anblick vor Angst außer sich. Montgomery gewann ich für mich – irgendwie, aber ich und er, wir hatten schwer zu tun, die Kanaken am Davonlaufen zu hindern. Schließlich taten sie's doch, und so verloren wir die Jacht. Ich habe viele Tage damit zugebracht, den Affenmenschen zu unterrichten – im ganzen drei oder vier Monate lang. Ich lehrte ihn die Rudimente des Englischen, vermittelte ihm einen Begriff vom Zählen, lehrte ihn sogar das Alphabet lesen. Aber da war er langsam – freilich, Idioten, die ich's ebenfalls gelehrt habe, waren mitunter noch langsamer. Er war geistig ein unbeschriebenes Blatt, hatte keine Erinnerung mehr von dem, was er gewesen war. Als seine Wunden geheilt waren und er nur noch etwas steif war, sich aber bereits ein wenig unterhalten konnte, brachte ich ihn da hinten hin und stellte ihn den Kanaken als interessantes Strandgut vor.
Sie hatten erst furchtbare Angst vor ihm – was mich ziemlich beleidigte, denn ich bildete mir etwas auf ihn ein –, aber sein Wesen schien so mild, und er war so sanftmütig, daß sie ihn nach einiger Zeit aufnahmen und seine Erziehung fortsetzten. Er lernte schnell, ahmte seine Lehrmeister nach und paßte sich an. Er baute sich eine Hütte, die mir besser schien als die Schuppen der Kanaken. Unter den Jungen war einer so etwas wie ein Missionar, und der lehrte das Geschöpf lesen und gab ihm einige rudimentäre Ideen von Moral, aber es scheint, die Sitten des Viehs waren nicht ganz so, wie man wünschen sollte.
Ich ruhte einige Tage von der Arbeit aus und hatte Lust, einen Bericht über die ganze Sache zu schreiben, um die englische Physiologie aufzuwecken. Dann traf ich das Geschöpf hoch in einem Baum sitzend, wie es auf zwei von den Kanaken einschnatterte, die ihn geärgert hatten. Ich drohte ihm, sagte ihm, ein solches Vorgehen sei nicht menschenwürdig, weckte sein Schamgefühl und entschloß mich, Besseres zu machen, ehe ich meine Arbeit in England vorstellte. Ich habe Besseres gemacht; aber irgendwie verkümmern die Geschöpfe wieder, das zähe Tierfleisch ist stärker, wächst nach ... Ich gedenke immer noch, Besseres zu machen. Dieser Puma ...
Das ist also die Geschichte. All die Kanakenjungen sind jetzt tot. Einer fiel vom Langboot über Bord und einer starb an einer Wunde an der Ferse, die er sich irgendwie mit Pflanzensaft infiziert hatte. Drei gingen mit der Jacht durch und ertranken, wie ich vermute und hoffe. Der letzte ... wurde getötet. Nun – ich habe sie ersetzt. Montgomery trieb's erst ziemlich wie Sie, dann ...«
»Was wurde aus dem letzten?« fragte ich scharf, »dem Kanaken, der getötet wurde?«
»Die Sache ist die, nachdem ich eine Anzahl menschlicher Geschöpfe gemacht hatte, stellte ich ein Wesen her ...« Er zögerte.
»Ja?« sagte ich.
»Es wurde getötet.«
»Ich verstehe nicht«, sagte ich; »wollen Sie etwa sagen ...«
»Ja – es tötete den Kanaken. Es tötete verschiedenes andere, was es zu fassen bekam. Wir machten ein paar Tage Jagd darauf. Es kam durch einen Zufall frei – ich hatte nie daran gedacht, es fortzulassen. Es war nicht fertig. Es war nur ein Experiment: ein gliederloses Geschöpf mit einem furchtbaren Gesicht, das sich nach Schlangenart am Boden hinwand. Es war ungeheuer stark und rasend vor Schmerz, und es bewegte sich schaukelnd wie ein Tümmler. Es lauerte ein paar Tage im Wald und vernichtete alles, was ihm begegnete, bis wir es jagten. Und dann verkroch es sich im nördlichen Teil der Insel und wir teilten uns, um es einzuschließen. Montgomery bestand darauf, mit mir zu kommen. Der Kanake hatte eine Flinte, und als seine Leiche gefunden wurde, war einer der Läufe zu einem S gebogen und beinahe durchgebissen ... Montgomery erschoß das Untier ... Seither habe ich mich an das Ideal des Menschen gehalten – abgesehen von ein paar Kleinigkeiten.«
Er verstummte. Ich saß schweigend da und sah sein Gesicht an.
»So habe ich im ganzen zwanzig Jahre lang – wenn ich die neun Jahre in England zähle – gearbeitet, und dennoch ist da etwas, was mich unzufrieden läßt, was mich zu weiteren Versuchen herausfordert. Bisweilen erhebe ich mich über mein Niveau, bisweilen sinke ich darunter, aber nie erreiche ich das, wovon ich träume. Die menschliche Gestalt kann ich jetzt beinahe mit Leichtigkeit formen, so daß sie geschmeidig und anmutig ist oder derb und stark; aber oft hab' ich Mühe mit den Händen und Klauen – heikle Dinge, die ich nicht zu frei zu formen wage. Aber meine Hauptschwierigkeit liegt in der subtilen Veredlung und Umbildung des Gehirns. Die Intelligenz ist oft merkwürdig niedrig, und sie weist unerklärliche, unerwartete Lücken auf. Am schlimmsten ergeht es mir jedoch mit dem Sitz der Gefühle. Ich weiß nicht, wo er liegt, ich komme nicht daran heran. Wünsche, Sehnsuchtsäußerungen, Instinkte, die der Menschlichkeit Abbruch tun, ein seltsames verborgenes Reservoir, das plötzlich ausbricht und das ganze Wesen des Geschöpfes mit Wut, Haß oder Furcht überschwemmt. Diese meine Geschöpfe erschienen Ihnen seltsam und unheimlich, sowie Sie anfingen, sie zu beobachten; aber mir erscheinen sie, wenn ich sie gerade gemacht habe, unbestreitbar menschlich. Erst wenn ich sie später beobachte, beginne ich zu zweifeln. Erst stiehlt sich der eine, dann der andere tierische Zug wieder an die Oberfläche und springt mir ins Auge ... Aber ich werde noch siegen. Jedesmal, wenn ich ein lebendes Geschöpf ins Bad des brennenden Schmerzes tauche, sage ich mir: Diesmal will ich das Tier ganz ausbrennen, diesmal will ich ein vernünftiges Wesen schaffen. Was sind schließlich zehn Jahre? Am Menschen ist hunderttausend Jahre lang geschaffen worden.«
Er dachte nach. »Aber ich komme der Sache näher. Dieser mein Puma ...«
Nach einem Schweigen: »Und sie entwickeln sich wieder rückwärts. Sobald ich meine Geschöpfe sich selbst überlasse, beginnt das Tier sich wieder geltend zu machen ...«
Ein zweites langes Schweigen.
»Und dann bringen Sie die Wesen, die Sie machen, in diese Höhlen?« fragte ich.
»Sie gehen hin. Ich werfe sie hinaus, sobald ich das Tier in ihnen zu fühlen beginne, und dann wandern sie gleich dorthin. Sie fürchten alle dies Haus und mich. Was Sie da drüben gesehen haben, ist eine Parodie der Menschheit. Montgomery weiß darüber Bescheid, denn er kümmert sich darum. Er hat einen oder zwei von den Geschöpfen zu unserem Dienst abgerichtet. Er schämt sich, aber er hat ein paar von diesen Bestien beinahe lieb. Das ist seine Sache, nicht meine. Wenn ich sie sehe, quält mich nur das Gefühl des Mißerfolgs. Ich interessiere mich nicht für sie. Ich denke mir, sie folgen der Richtung, die der Kanaken-Missionar ihnen angegeben hat, und ihr Leben gleicht der Karikatur eines vernünftigen Lebens – die armen Bestien! Sie haben etwas, das sie das Gesetz nennen. Sie singen Hymnen. Sie bauen ihre Hütten, sammeln Früchte und heiraten sogar. Aber ich durchschaue das alles, sehe ihnen bis in die Seelen, und sehe nichts als die Seelen von Tieren, Tieren, die untergehen – und die Lust, zu leben und zufrieden zu sein ... Und doch sind sie merkwürdig. Kompliziert, wie alles Lebendige. Sie haben so etwas wie Ehrgeiz, der teils aus Eitelkeit, teils aus übermäßiger Geschlechtserregung, teils aus überschüssiger Neugier entstanden sein dürfte. Mir ist es nur Hohn ... Ich habe einige Hoffnung mit diesem Puma; ich habe an seinem Kopf und Gehirn schwer gearbeitet ...«
»Und jetzt«, sagte er nach einem langen Schweigen, währenddessen jeder seinen eigenen Gedanken folgte, »was meinen Sie? Haben Sie immer noch Angst vor mir?«
Ich schaute ihn an und sah nur einen Mann mit weißem Gesicht und weißem Haar und ruhigen Augen. Abgesehen von seiner Heiterkeit, beinahe einem Anflug von Schönheit, der von der gesetzten Ruhe und von seinem stattlichen Körperbau herrührte, sah er aus wie hundert andere behagliche alte Herren. Dann schauderte mir. Als Antwort auf seine zweite Frage hielt ich ihm die beiden Revolver hin.
»Behalten Sie sie«, sagte er und gähnte. Er stand auf, sah mich einen Moment an und lächelte. »Sie haben zwei ereignisreiche Tage gehabt«, sagte er. »Ich würde etwas Schlaf anraten. Freut mich, daß alles klar ist. Gute Nacht.«
Er sann einen Moment nach, dann ging er zur inneren Tür hinaus. Ich drehte sofort den Schlüssel in der äußeren.
Ich setzte mich noch einmal und blieb eine Zeitlang in flauer Stimmung sitzen, so müde, daß ich einfach nicht weiterdenken konnte. Das schwarze Fenster starrte mich wie ein Auge an. Zuletzt raffte ich mich auf, blies die Lampe aus und stieg in die Hängematte. Ich schlief sehr bald ein.
15. Über das Tiervolk
Ich wachte früh auf. Moreaus Erklärung stand vom Moment meines Erwachens an klar und deutlich vor meinem Geist. Ich stieg aus der Hängematte und ging zur Tür, um mich zu vergewissern, daß der Schlüssel umgedreht war. Dann untersuchte ich das Fenstergitter und fand es fest eingefügt. Daß diese menschenartigen Geschöpfe in Wirklichkeit nur tierische Ungeheuer, bloße groteske Parodien auf Menschen waren, erfüllte mich mit einer vagen Ungewißheit über ihre Möglichkeiten, die viel schlimmer war als eindeutige Furcht. Es klopfte an der Tür, und ich hörte M'lings gedehnte, fast klebrige Art zu sprechen. Ich steckte einen der Revolver in die Tasche, hielt die Hand darauf und öffnete ihm.
»Guten Morgen, Häer«, sagte er, während er außer dem gewohnten Gemüsefrühstück noch ein schlecht gekochtes Kaninchen hereinbrachte. Montgomery folgte ihm. Als er sich umsah und die Haltung meines Arms erblickte, verzog er den Mund zu einem schiefen Lächeln.
Der Puma wurde an diesem Tag nicht »behandelt«, er sollte heilen; aber Moreau, der sehr eigenbrötlerische Gewohnheiten hatte, kam nicht zu uns. Ich sprach mit Montgomery, um klarere Vorstellungen über die Art zu bekommen, wie das Tiervolk lebte. Besonders war ich begierig, zu erfahren, wie Moreau und Montgomery die unmenschlichen Ungeheuer davon abhielten, über sie herzufallen, und auch davon, sich gegenseitig zu zerreißen.
Er erklärte mir, seine und Moreaus relative Sicherheit beruhte auf der Begrenztheit des geistigen Gesichtskreises dieser Ungeheuer. Trotz ihrer verstärkten Intelligenz und trotz des allmählichen Wiedererwachens ihrer tierischen Instinkte, hatten sie gewisse fixe Ideen, die Moreau ihrem Geist eingepflanzt hatte, und die ihre Vorstellungen absolut einschränkten. Sie wurden regelrecht hypnotisiert, und ihnen wurde gesagt, gewisse Dinge seien unmöglich, und gewisse Dinge dürften nicht getan werden, und diese Verbote waren so in ihre geistige Struktur verwoben, daß sie praktisch jenseits von jeder Möglichkeit des Ungehorsams oder Streites standen. In gewissen Dingen jedoch, in denen der alte Instinkt mit Moreaus Befehlen kämpfte, waren sie weniger stabil. Eine Reihe von Vorschriften, die »das Gesetz« hieß – ich hatte sie ja bereits gehört – rang in ihren Geistern mit dem tiefeingewurzelten, stets rebellischen Forderungen ihrer tierischen Natur. Dieses Gesetz, erfuhr ich, wiederholten und – brachen sie immer. Montgomery und Moreau waren besonders darauf bedacht, sie davon abzuhalten, Blut zu kosten und auf den Geschmack zu kommen. Dies, so fürchteten sie, würde verheerende Folgen haben.
Montgomery sagte mir, das Gesetz erfahre, besonders unter den katzenartigen Tiermenschen, mit Einbruch der Nacht eine merkwürdige Schwächung; dann sei das Tier am stärksten; mit der Dämmerung entstünde ein Abenteuergeist in ihnen; sie wagten Dinge, von denen sie am Tage nie zu träumen schienen. Dies erklärte auch, wieso der Leopardenmensch mir am Abend meiner Ankunft nachgeschlichen war. Aber während dieser ersten Tage meines Aufenthalts brachen die Tiermenschen das Gesetz nur verstohlen; am Tage achteten sie durchaus die mannigfaltigen Verbote.
Und hier sollte ich vielleicht ein paar allgemeine Tatsachen über die Insel und das Tiervolk einfügen. Die Insel hatte unregelmäßige Umrisse, lag niedrig über dem weiten Meer und war insgesamt etwa sieben oder acht Quadratmeilen groß. [Fußnote] Sie war vulkanischen Ursprungs und auf drei Seiten von Korallenriffen umsäumt. Einige Fumarolen im Norden und eine heiße Quelle waren die einzigen Spuren der Kräfte, die sie vor langer Zeit geschaffen hatten. Hin und wieder war das leichte Zittern eines Erdbebens zu merken, und zuweilen wurde die Rauchsäule durch Dampfstrahlen in drehende Bewegung versetzt. Aber das war alles. Die Bevölkerung der Insel, sagte mir Montgomery, zählte jetzt mehr als sechzig dieser seltsamen Geschöpfe von Moreaus Kunst, die kleineren Monstrositäten, die im Unterholz lebten und nicht von menschlicher Gestalt waren, nicht mitgerechnet. Im ganzen hatte er etwa hundertundzwanzig gemacht, aber viele waren gestorben; und andere waren wie das sich windende, fußlose Wesen, von dem Moreau mir erzählt hatte, gewaltsam umgekommen. Als Antwort auf meine Frage sagte Montgomery, die Tiermenschen hätten tatsächlich Nachkommenschaft, doch sterbe sie meist. Es gab kein Beispiel für die Vererbung der erworbenen menschlichen Charakteristika. Wenn sie am Leben blieben, holte Moreau sie und prägte ihnen menschliche Form auf. Die weiblichen Wesen waren weniger zahlreich als die männlichen und hatten, trotz der vom Gesetz eingeschärften Monogamie, viel unter heimlicher Verfolgung zu leiden.
Es wäre mir unmöglich, diese Tiermenschen im einzelnen zu beschreiben – mein Auge ist auf Einzelheiten nicht trainiert – und unglücklicherweise kann ich nicht zeichnen. Am auffallendsten war vielleicht das Mißverhältnis zwischen den Beinen dieser Geschöpfe und der Länge ihres Rumpfes; und doch – so relativ sind unsere Begriffe von Schönheit – gewöhnte mein Auge sich an ihre Formen, und schließlich stimmte ich ihrer Überzeugung bei, daß meine eigenen langen Schenkel plump seien. Ein weiterer Punkt war die Neigung des Kopfes und die plumpe und unmenschliche Krümmung der Wirbelsäule. Selbst dem Affenmenschen fehlte jene Innenkurve des Rückens, die die menschliche Gestalt so anmutig macht. Die meisten hatten krumme Schultern, und ihre kurzen, schwächlichen Vorderarme hingen an der Seite herab. Nur wenige waren auffallend behaart – wenigstens bis zum Schluß meines Aufenthalts auf der Insel.
Bemerkenswert unförmig waren ihre Gesichter, die fast alle vorstehende Backenknochen hatten, um die Ohren herum mißgestaltet waren und große und vorragende Nasen zeigten; das Haar war sehr pelzig oder sehr borstig, und die Augen waren oft seltsam gefärbt oder seltsam stechend. Keiner konnte lachen, obgleich der Affenmensch ein schnatterndes Kichern hören ließ. Außer diesen allgemeinen Zeichen hatten ihre Köpfe wenig gemeinsam; jeder bewahrte die Art seiner besonderen Spezies; das Menschliche verzerrte, aber verbarg nicht den Leoparden, Ochsen, die Sau oder das andere Tier oder die Tiere, aus denen das Geschöpf gebildet worden war. Auch die Stimmen waren sehr verschieden. Die Hände waren stets schlecht geformt; und obgleich mich einige durch ihre unerwartete Ähnlichkeit mit Menschenhänden überraschten, hatten fast alle zu wenige oder zu viele Finger, waren an den Nägeln plump und ohne Tastempfindlichkeit.
Die beiden furchtbarsten Tiermenschen waren mein Leopardenmensch und ein Geschöpf, das aus einer Hyäne und einem Schwein gemacht war. Größer als diese waren die drei Stiermenschen, die das Boot ruderten. Dann kamen der Silberhaarmensch, der zugleich Sprecher des Gesetzes war, M'ling und ein satyrartiges Geschöpf aus Affe und Ziege. Ferner gab es noch drei Schweinemänner und eine Schweinefrau, ein Rhinozerosstutengeschöpf und mehrere andere Weibchen, deren Herkunft ich nicht feststellen konnte. Mehrere waren Wolfwesen, eines ein Bär-Bulle, einer ein Bernhardinerhundmensch. Den Affenmenschen habe ich schon geschildert, und dann war da eine besonders abscheuliche (und übelriechende) Frau, die aus Füchsin und Bärin gemacht war, und die ich von Anfang an haßte. Sie war angeblich eine leidenschaftliche Priesterin des Gesetzes. Zu den kleineren Geschöpfen zählten gewisse fleckige Junge und mein kleines Faultierwesen. Aber genug davon!
Erst empfand ich entsetzliches Grauen vor diesen Tieren; ich fühlte allzu deutlich, daß sie noch Tiere waren; aber unmerklich gewöhnte ich mich an sie, und obendrein rührte mich Montgomerys Haltung ihnen gegenüber. Er war so lange mit ihnen zusammengewesen, daß er sie nun fast als normale menschliche Wesen ansah – seine Londoner Tage erschienen ihm nur noch als glorreiche, aber unwiederbringliche Vergangenheit. Nur einmal im Jahre oder so fuhr er nach Arica, um mit Moreaus Agenten, einem Tierhändler, zu verhandeln. Er traf in dieser Ansiedlung spanischer Mischlinge wohl kaum auf den schönsten Typus von Menschen. Die Leute auf dem Schiff, sagte er mir, wären ihm zuerst genauso fremdartig erschienen wie mir die Tiermenschen – unnatürlich langbeinig, flachgesichtig, mit fliehenden Stirnen, argwöhnisch, gefährlich und kaltherzig. Kurz, er mochte keine Menschen. Mir gegenüber, meinte er, sei ihm das Herz warm geworden, weil er mir das Leben gerettet hatte.
Es kam mir vor, als hege er eine heimliche Zärtlichkeit für einige dieser verwandelten Tiere, eine perverse Sympathie, die er aber zunächst vor mir zu verschleiern versuchte.
Der Mann mit dem schwarzen Gesicht, sein Diener M'ling, der erste vom Tiervolk, der mir begegnet war, lebte nicht bei den anderen, sondern in einer kleinen Hundehütte an der Hinterseite der Ummauerung. Das Geschöpf war kaum so intelligent wie der Affenmensch, aber viel folgsamer, und es sah vom ganzen Tiervolk am menschlichsten aus. Montgomery hatte ihn abgerichtet, Nahrung zuzubereiten, und überhaupt alle kleinen häuslichen Dienste zu verrichten, die nötig waren. Er war ein kompliziertes Ergebnis von Moreaus furchtbarer Geschicklichkeit – ein Bär, der mit Hund und Ochs vermischt war, und eines seiner am sorgfältigsten hergestellten Geschöpfe. Er behandelte Montgomery mit seltsamer Zärtlichkeit und Hingabe; bisweilen beachtete Montgomery das, klopfte ihm auf die Schulter, rief ihn mit halb spöttischen, halb scherzhaften Namen, so daß er vor Vergnügen sprang; bisweilen mißhandelte er ihn, besonders, wenn er sich an den Whisky herangemacht hatte, stieß ihn, schlug ihn, bewarf ihn mit Steinen oder brennendem Zunder. Aber, ob er ihn gut oder schlecht behandelte, M'ling liebte nichts so sehr, wie seinem Herrn nahe zu sein.
Ich sage, ich gewöhnte mich an das Tiervolk, und tausend Dinge, die mir unnatürlich und abstoßend erschienen waren, wurden mir natürlich und alltäglich. Ich glaube, alles im Leben erhält seine Farbe von der Durchschnittsfärbung unserer Umgebung: Montgomery und Moreau waren zu eigenartig und individuell, als daß ich meine allgemeinen Eindrücke von der Menschheit scharf umrissen bewahren hätte können. Ich sah wohl eines der plumpen Stiergeschöpfe, die im Boot gearbeitet hatten, schwerfällig durch das Gebüsch gehen, und ertappte mich, daß ich mich fragte und mich zu entsinnen bemühte, worin es sich von einem wirklich menschlichen Bauerntölpel unterschied, der von seiner stumpfsinnigen Arbeit nach Hause trabte; oder ich sah das verschlagene wölfische Gesicht der Füchsin-Bärin-Frau, das in seiner Listigkeit seltsam menschlich war, und meinte gar, ich hätte es schon in irgendeiner Stadtgasse gesehen.
Und doch erkannte ich hin und wieder unzweifelhaft und unbestreitbar das Tier in diesen Geschöpfen. Ein häßlicher Mann, ein buckliger, menschlicher Wilder, der im Eingang einer der Höhlen hockte, streckte die Arme aus und gähnte und zeigte mit erschreckender Plötzlichkeit scherenrandige Schneidezähne und säbelartige Eckzähne, scharf und glänzend wie Messer. Oder wenn ich auf einem schmalen Weg mit vorübergehender Verwegenheit einer geschmeidigen, weißumwickelten Frauengestalt ins Auge blickte, sah ich plötzlich (mit einem Anfall von Widerwillen), daß sie eine schlitzartige Pupille hatte, oder mir fiel, wenn ich niederblickte, der krumme Fingernagel auf, mit dem sie ihre Hülle zusammenhielt. Es ist übrigens merkwürdig, und ich kann es absolut nicht erklären, daß diese unheimlichen Geschöpfe, die Weibchen, meine ich, in den ersten Tagen meines Aufenthalts ihre abstoßende Plumpheit instinktiv fühlten und infolgedessen eine mehr als menschliche Rücksicht auf den Anstand und das Dekorum entfalteten.
16. Wie das Tiervolk Blut kostete
Aber meine Unerfahrenheit als Schriftsteller schlägt durch, und ich schweife von meiner eigentlichen Erzählung ab. Als ich mit Montgomery gefrühstückt hatte, führte er mich über die Insel, um mir die Fumarole und die Quelle des heißen Baches zu zeigen, in dessen kochende Wasser ich am Tag vorher geraten war. Wir hatten beide Peitschen und geladene Revolver mit. Als wir durch ein belaubtes Dickicht gingen, hörten wir den Schrei eines Kaninchens. Wir standen still und lauschten, aber wir hörten nichts mehr und wanderten weiter, und bald vergaßen wir den Zwischenfall. Montgomery machte mich auf einige kleine, rosige Tiere mit langen Hinterbeinen aufmerksam, die durch das Buschwerk sprangen. Er sagte mir, das seien von Moreau erdachte Geschöpfe, die er aus der Nachkommenschaft des Tiervolks gemacht habe. Er hatte gemeint, sie würden als Fleischnahrung dienen können, aber die Angewohnheit der Kaninchen, ihre Jungen zu verschlingen, war hier durchgebrochen und hatte diese Absicht vereitelt. Mir waren schon während meiner Mondscheinflucht vor dem Leopardenmann und einmal auch am Tage vorher, als mich Moreau verfolgte, einige von diesen Geschöpfen begegnet. Zufällig sprang eines, das uns ausweichen wollte, in das Wurzelloch eines vom Winde gefällten Baumes. Ehe es wieder herausklettern konnte, gelang es uns, es zu fangen. Es fauchte wie eine Katze, kratzte, stieß kräftig mit den Hinterbeinen und versuchte zu beißen, aber seine Zähne waren zu schwach, es langte nur zu einem schmerzlosen Kneifen. Mir schien es ein ziemlich hübsches kleines Geschöpf zu sein, und da Montgomery behauptete, es zerstöre nie den Rasen durch Wühlen und sei sehr sauber, konnte ich es mir gut als Ersatz für das gewöhnliche Kaninchen in herrschaftlichen Parks vorstellen.
Wir sahen auch unterwegs noch einen Baumstumpf, dessen Rinde in langen Streifen abgerissen und der stark zersplittert war. Darauf machte Montgomery mich aufmerksam. »Nicht von Bäumen Rinde reißen; das ist das Gesetz«, sagte er. »Daraus machen sich einige viel!« fügte er ironisch hinzu. Darauf, glaube ich, trafen wir den Satyr und den Affenmenschen. Der Satyr war wohl einer Erinnerung Moreaus an das klassische Altertum entsprungen. Das Gesicht zeigte einen schafsartigen Ausdruck, seine Stimme war ein scharfes Blöken, seine unteren Extremitäten sahen satanisch aus. Er nagte an der Schote einer Hülsenfrucht, als er an uns vorbeikam. Beide grüßten Montgomery.
»Heil«, sagten sie, »dem anderen mit der Peitsche!«
»Jetzt ist ein dritter mit einer Peitsche da«, sagte Montgomery. »Also nehmt euch besser in acht!«
»Ist er nicht gemacht?« sagte der Affenmensch. »Er sagte – er sagte, er sei gemacht.«
Der Satyrmensch sah mich neugierig an. »Der dritte mit der Peitsche, der, der weinend ins Meer läuft, hat ein dünnes weißes Gesicht.«
»Er hat eine dünne lange Peitsche«, sagte Montgomery.
»Gestern blutete und weinte er«, erklärte der Satyr. »Du weinst und blutest nie. Der Herr weint und blutet nie.«
»Elender Bettler!« rief Montgomery. »Wenn du nicht aufpaßt, wirst du weinen und bluten.«
»Er hat fünf Finger; er ist ein Fünfmensch wie ich«, sagte der Affenmensch.
»Kommen Sie mit, Prendick«, meinte Montgomery und nahm meinen Arm; ich ging mit ihm weiter.
Der Satyr und der Affenmensch standen da und beobachteten uns und machten weitere Bemerkungen.
»Er sagt nichts«, stellte der Satyr fest. »Menschen haben Stimmen.«
»Gestern fragte er mich nach etwas zum Essen«, sagte der Affenmensch. »Er wußte nichts.« Dann sprachen sie unhörbar leise, und ich hörte den Satyr lachen.
Auf unserm Rückweg sahen wir das tote Kaninchen. Der rote Leib des armen kleinen Tieres war in Stücke zerrissen, viele von den Rippen entblößt, und die Wirbelsäule ohne Zweifel benagt.
Da stand Montgomery still. »Guter Gott!« sagte er, bückte sich und hob einige der zermalmten Halswirbel auf, um sie genauer zu prüfen. »Guter Gott!« wiederholte er. »Was kann das heißen?«
»Einer Ihrer Fleischfresser hat sich seiner früheren Gewohnheiten erinnert«, meinte ich nach einer Pause. »Dieser Halswirbel ist durchgebissen.«
Er stand da, mit weißem Gesicht, verzerrten Lippen und großen Augen. »Das gefällt mir nicht«, sagte er langsam.
»Ich habe etwas Ähnliches gesehen«, sagte ich, »am ersten Tage, nachdem ich angekommen war.«
»Zum Teufel! Was?«
»Ein Kaninchen, dem der Kopf abgerissen war.«
»Am Tag, als Sie ankamen?«