Part. 04
»Am Tag, als ich ankam. Im Gebüsch hinter der Ummauerung, als ich abends ausging. Der Kopf war vollständig abgerissen.«
Er pfiff lange und leise.
»Und was mehr ist, ich habe eine Idee, welches von Ihren Tieren das getan hatte. Es ist nur ein Verdacht, wissen Sie. Ehe ich das Kaninchen fand, sah ich eines Ihrer Ungeheuer aus dem Bache trinken.«
»Schlürfen?«
»Ja.«
»Nicht das Wasser schlürfen; das ist das Gesetz. Die Bestien kümmern sich viel ums Gesetz, eh – wenn Moreau nicht herumläuft?«
»Es war der Tiermensch, der mich gejagt hat.«
»Natürlich«, sagte Montgomery; »es gehört zu dieser Art von Fleischfressern. Nach dem Fressen trinken sie. Wegen des Blutgeschmacks, wissen Sie.«
»Wie sah das Vieh aus?« fragte er. »Würden Sie's wiedererkennen?« Er sah sich um; er stand über dem Rest des toten Kaninchens und seine Augen schweiften durch das schattige Grün, über die Verstecke und Hinterhalte des Waldes, die uns umgaben. »Der Blutgeschmack«, sagte er noch einmal.
Er zog seinen Revolver heraus, prüfte die Patronen und steckte ihn wieder ein. Dann begann er an seiner Unterlippe zu nagen.
»Ich glaube, ich würde das Tier wiedererkennen. Ich habe es betäubt. Es müßte eine schöne Beule an der Stirn haben.«
»Aber dann müssen wir beweisen, daß es das Kaninchen getötet hat«, sagte Montgomery. »Ich wollte, ich hätte die Kaninchen nie mitgebracht.«
Ich wäre weitergegangen, aber er blieb stehen und zerbrach sich den Kopf wegen des zerfleischten Kaninchens. Ich ging weiter, bis die Reste des Kaninchens nicht mehr zu sehen waren.
»Kommen Sie!« rief ich.
Dann wachte er auf und kam zu mir. »Sie sehen«, sagte er fast flüsternd, »man muß ihnen allen das Verbot einbleuen, irgend etwas zu essen, was auf dem Lande läuft. Wenn ein solches Tier zufällig Blut gekostet hat ...«
Wir gingen schweigend weiter. »Ich möchte wissen, was passiert ist«, sagte er vor sich hin. Dann nach einer Pause wieder: »Ich habe neulich etwas Törichtes getan. Mein Diener da ... dem hab' ich gezeigt, wie man ein Kaninchen häutet und kocht. Es ist merkwürdig ... Ich sah, wie er sich die Hände leckte ... Daran habe ich noch nie gedacht.«
Und dann: »Dem müssen wir ein Ende machen. Ich muß es Moreau sagen.«
Er konnte auf unserer Heimwanderung an nichts anderes denken.
Moreau nahm die Sache noch ernster als Montgomery, und ich brauche kaum zu sagen, daß mich die offensichtliche Bestürzung der beiden ansteckte. »Wir müssen ein Exempel statuieren«, sagte Moreau. »Ich für meinen Teil zweifle nicht, daß der Leopardenmensch der Sünder war. Aber wie können wir es beweisen? Ich wollte, Montgomery, Sie hätten Ihren Appetit auf Fleisch bezwungen und keine so aufregenden Neuigkeiten eingeführt. Wir können dadurch noch in die Klemme kommen.«
»Ich bin ein alberner Esel gewesen«, antwortete Montgomery. »Aber jetzt ist es geschehen. Und Sie sagten, ich könnte die Kaninchen haben, wissen Sie.«
»Wir müssen die Sache sofort untersuchen«, sagte Moreau. »Ich denke, M'ling wird für sich selber sorgen können?«
»Ich bin M'lings nicht so sicher«, erwiderte Montgomery. »Ich denke, ich sollte ihn kennen.«
Am Nachmittag gingen Moreau, Montgomery, ich und M'ling über die Insel zu den Hütten in der Schlucht. Die beiden Wissenschaftler und ich waren bewaffnet. M'ling trug das kleine Beil, das er benutzte, um Feuerholz zu spalten, und ein paar Drahtschlingen. Moreau hatte sich ein großes Kuhhirtenhorn über die Schulter gehängt. »Sie werden eine Versammlung der Tiermenschen sehen«, sagte Montgomery. »Es ist ein hübscher Anblick.« Moreau sprach unterwegs kein Wort, aber seine Miene war grimmig verbissen.
Wir kamen durch die Schlucht, in der der Heißwasserbach dampfte, und folgten dem gewundenen Pfad durch das Rohrgebüsch, bis wir eine weite Fläche erreichten, die mit einer dicken gelben, pulvrigen Substanz bedeckt war; ich glaube, es war Schwefel. Hinter einer mit Unkraut bewachsenen Böschung glitzerte das Meer. Wir kamen zu einer flachen, ovalen Lichtung, und hier machten wir vier halt. Dann stieß Moreau ins Horn und brach die schläfrige Stille des tropischen Nachmittags. Er mußte starke Lungen haben. Der dröhnende Schall wuchs und wuchs infolge der Echos bis zu einer zuletzt ohrenbetäubenden Intensität. »Ah«, sagte Moreau, als er das krumme Instrument wieder fallen ließ.
Sofort krachte es im gelben Schilf, und Stimmen schallten aus den dichten, grünen Dschungeln, die den Morast bedeckten, durch den ich am Tag vorher gelaufen war. Dann erschienen an drei oder vier Punkten die grotesken Gestalten der Tiermenschen am Rande der schwefligen Fläche und eilten auf uns zu. Ich konnte mich eines schleichenden Grauens nicht erwehren, als ich erst einen und dann den andern aus den Bäumen und dem Schilf hervortraben und mit schlenkernden Bewegungen über den heißen Staub daherkommen sah. Aber Moreau und Montgomery standen ganz ruhig da, und ich hielt mich dicht neben ihnen. Der erste, der bei uns ankam, war der Satyr, seltsam unreal, obgleich er einen Schatten warf und mit den Hufen den Staub aufwirbelte; hinter ihm kroch ein monströser Lümmel aus dem Gebüsch, ein Mischwesen aus Pferd und Rhinozeros, das einen Strohhalm kaute; dann erschienen die Schweinefrau und zwei Wolfsfrauen; dann die Füchsin-Bärin-Hexe mit den roten Augen im spitzen, roten Gesicht und dann weitere – alle liefen eilig. Wenn sie herankamen, verbeugten sie sich demütig vor Moreau und begannen, ohne Rücksicht aufeinander, Fragmente aus der zweiten Hälfte der Gesetzeslitanei zu singen. » Sein ist die Hand, die verwundet, Sein ist die Hand; die heilt«, und so weiter.
Sobald sie bis auf eine bestimmte Entfernung – vielleicht dreißig Meter – herangekommen waren, machten sie halt, beugten sich auf Knie und Ellbogen und streuten sich den heißen Staub über die Köpfe. Man stelle sich die Szene vor, wenn man kann! Wir drei blaugekleideten Männer standen mit unserem ungestalten, schwarzgesichtigen Begleiter auf einer weiten Fläche sonnenbeleuchteten, gelben Staubes unter blendend blauem Himmel, und um uns dieser Kreis kauernder und gestikulierender Monstrositäten, einige fast menschlich, einige wie Krüppel, einige so seltsam verrenkt, daß sie Gestalten aus unseren wildesten Träumen glichen. Und dahinter auf einer Seite das Schilf, auf der andern ein dichtes Wirrwarr von Palmen, die uns von der Schlucht mit den Hütten trennten, und im Norden der dunstige Horizont des Großen Ozeans.
»Zweiundsechzig, dreiundsechzig«, zählte Moreau. »Es fehlen noch vier.«
»Ich sehe den Leopardenmenschen nicht«, sagte ich.
Darauf stieß Moreau noch einmal in das große Horn, und bei dem Schall wanden sich alle Tiermenschen am Boden. Da kam aus dem Rohrdickicht, dicht gegen den Boden gedrückt und bemüht, hinter Moreaus Rücken in den Kreis seiner sich in den Staub werfenden Genossen zu gelangen, der Leopardenmensch geschlichen. Ich sah, daß seine Stirn eine Beule trug. Der letzte vom Tiervolk, der eintraf, war der kleine Affenmensch. Die früher angekommenen Tiere, denen noch heiß war vom Kriechen, schossen giftige Blicke gegen ihn.
»Aufhören«, sagte Moreau mit seiner festen, lauten Stimme, und die Tiermenschen setzten sich auf ihre Hintern und ruhten von ihrer Anbetung aus.
»Wo ist der Sprecher des Gesetzes?« fragte Moreau, und das haarige graue Ungeheuer beugte das Gesicht in den Staub.
»Sage die Worte«, befahl Moreau, und alsbald begann die ganze kniende Versammlung sich hin und her zu wiegen, den Schwefel mit den Händen aufzuwühlen, erst mit der Rechten, dann mit der Linken, und ihre seltsame Litanei noch einmal zu singen.
Als sie sagten: »Essen weder Fleisch noch Fisch; das ist das Gesetz«, hielt Moreau seine dünne, weiße Hand hoch. »Halt!« rief er, und eine absolute Stille senkte sich über alle.
Ich glaube, alle wußten und fürchteten, was nun kam. Ich blickte rings auf ihre seltsamen Gesichter. Als ich sah, wie sie sich wanden, und die verstohlene Furcht in den glänzenden Augen entdeckte, wunderte ich mich, wie ich sie je hatte für Menschen halten können.
»Das Gesetz ist gebrochen worden«, sagte Moreau.
»Keiner entkommt«, rief das gesichtlose Geschöpf mit dem silbrigen Haar. »Keiner entkommt«, wiederholte der kniende Kreis des Tiervolks.
»Wer ist es?« rief Moreau und blickte rings in ihre Gesichter und knallte mit der Peitsche. Mir schien, das Hyänenschwein sah bedrückt aus, ebenso der Leopardenmensch. Moreau blieb vor diesem Geschöpf stehen; es wand sich vor ihm in Erinnerung und Furcht unendlicher Qual.
»Wer ist es?« wiederholte Moreau mit Donnerstimme.
»Böse ist der, der das Gesetz bricht«, sang der Sprecher des Gesetzes.
Moreau blickte dem Leopardenmenschen in die Augen und schien die Seele selber aus dem Geschöpf herauszuziehen.
»Wer das Gesetz bricht ...«, sagte Moreau, während er den Blick von seinem Opfer wandte und sich zu uns drehte. Mir schien, daß in seiner Stimme ein Anflug von Triumph lag.
» ... geht zurück in das Haus des Schmerzes«, riefen sie alle; »geht zurück in das Haus des Schmerzes, o Herr!«
»Zurück in das Haus des Schmerzes – zurück in das Haus des Schmerzes«, schnatterte der Affenmensch, als wäre ihm die Vorstellung angenehm.
»Hörst du's?« fragte Moreau, indem er sich wieder an den Verbrecher wandte, »mein Freun ... Hallo!«
Denn der Leopardenmensch war, sowie Moreaus Auge ihn nicht mehr bannte, stracks von den Knien aufgesprungen und stürzte jetzt mit flammenden Augen – seine katzenartigen Fangzähne blitzten unter den Lippen hervor – auf seinen Peiniger zu. Ich bin überzeugt, nur der Wahnsinn unerträglicher Furcht hatte diesen Angriff eingeben können. Sämtliche der sechzig Ungeheuer um uns herum schienen sich zu erheben. Ich zog den Revolver. Die beiden Gestalten stießen zusammen. Ich sah Moreau vom Schlage des Leopardenmenschen zurücktaumeln. Rings um uns erhob sich ein furchtbares Schreien und Heulen. Einen Moment glaubte ich, es sei eine allgemeine Empörung.
Ich sah das wütende Gesicht des Leopardenmenschen, der an mir vorbeirannte. M'ling folgte ihm auf den Fersen. Ich sah die gelben Augen des Hyänenschweins vor Aufregung blitzen; es sah aus, als sei es halb entschlossen, mich anzufallen. Auch der Satyr funkelte mich über die krummen Schultern des Hyänenschweins her an. Ich hörte Moreaus Pistole krachen und sah den Feuerstrahl durch den Tumult zucken. Die ganze Menge schwenkte herum, und auch ich wurde von dieser Bewegung mitgerissen. In der nächsten Sekunde lief ich, ein einzelner in einer tobenden, schreienden Schar, hinter dem fliehenden Leopardenmenschen her.
Das ist alles, was ich bestimmt sagen kann. Ich sah, wie der Leopardenmensch auf Moreau einschlug, und dann wirbelte alles um mich herum, bis ich Hals über Kopf davonlief.
M'ling war der erste, dem Flüchtling knapp auf den Fersen. Hinter ihm liefen, schon mit lang heraushängenden Zungen, in großen Sprüngen, die Wolfsfrauen. Das Schweinevolk folgte und quietschte vor Aufregung; dann kamen die beiden Stiermenschen in ihren weißen Bandagen. Dahinter rannte dann Moreau in einem Knäuel von Tiervolk; sein breitrandiger Strohhut war ihm davongeflogen, den Revolver hielt er in der Hand, sein dünnes weißes Haar wehte in der Luft. Das Hyänenschwein lief im gleichen Schritt neben mir her und sah mich aus seinen Raubtieraugen verstohlen an; die anderen kamen trappelnd und schreiend hinter uns.
Der Leopardenmensch brach durch das hohe Schilf, das hinter ihm zurückschnellte und M'ling ins Gesicht rasselte. Wir anderen, die wir hinterdrein liefen, fanden einen ausgetretenen Pfad vor, als wir das Gebüsch erreichten. Die Jagd ging vielleicht eine Viertelmeile weit durch das Gebüsch und tauchte dann in ein dichteres Dickicht hinein, das uns beträchtlich aufhielt, obgleich wir in geschlossener Formation durchbrachen – Laubmassen schnellten uns ins Gesicht, tückische Schlingpflanzen fingen uns unterm Kinn oder schlangen sich um unsere Knöchel, dornige Pflanzen hakten sich zugleich in Kleider und Fleisch und zerrissen uns die Haut.
»Hier ist er auf allen vieren durchgebrochen«, keuchte Moreau, der jetzt gerade vor mir war.
»Keiner entkommt«, sagte der Wolfbär und lachte mir frohlockend vor Jagdlust ins Gesicht.
Wir stürmten weiter, diesmal über Felsbrocken, und sahen unser Wild vor uns, wie es auf allen vieren davonlief und uns über die Schulter her anknurrte. Da heulte das Wolfsvolk vor Wonne. Das Geschöpf war noch bekleidet, und in der Ferne sah sein Gesicht noch menschlich aus, aber die Haltung der vier Gliedmaßen war die einer Katze, und das verstohlene Senken der Schulter verriet deutlich die Angst des gejagten Tieres. Es sprang über einige gelbblühende Dornenbüsche und war verschwunden. M'ling war beinahe über den Platz hinüber.
Die meisten von uns kamen nicht mehr so schnell vorwärts wie am Beginn der Jagd und waren in gleichmäßiges Schrittempo gefallen. Ich sah, als wir über den offenen Platz liefen, daß die Meute sich aus einer Kolonne in eine langgezogene Linie verwandelt hatte. Das Hyänenschwein lief noch dicht neben mir und beobachtete mich im Laufen, wobei es die Schnauze von Zeit zu Zeit zu einem knurrenden Lachen zusammenzog.
Am Rande der Felsfläche hatte der Leopardenmensch, der merkte, daß er auf die Landzunge loslief, auf der er mich am Abend meiner Landung beschlichen hatte, im Unterholz einen Haken geschlagen. Aber Montgomery hatte das Manöver gesehen und machte ebenfalls kehrt.
So half ich keuchend, gegen Felsen taumelnd, von Dornenranken zerrissen, behindert von Farnen und Schilf, bei der Verfolgung des Leopardenmenschen, der das Gesetz gebrochen hatte, und das Hyänenschwein lief mir wild lachend zur Seite. Ich stolperte vorwärts, der Kopf wirbelte mir und das Herz pochte gegen meine Rippen; ich war todmüde und wagte doch nicht, die anderen aus dem Auge zu verlieren, um nicht mit diesem furchtbaren Gefährten allein zu bleiben. Ich stolperte trotz unendlicher Ermattung und trotz der brütenden Hitze des tropischen Nachmittags weiter.
Und schließlich ließ die Wut der Verfolger nach. Wir hatten das elende Geschöpf in einem Winkel der Insel eingeschlossen. Moreau ordnete uns, die Peitsche in der Hand, in eine unregelmäßige Linie, und wir rückten jetzt langsam vor, während wir einander dabei zuriefen, und zogen einen Kordon um unser Opfer. Es lauerte geräuschlos und unsichtbar in den Büschen, durch die ich bei jener nächtlichen Verfolgung vor ihm geflohen war.
»Ruhig!« rief Moreau, »ruhig!«, als wir das Gewirr von Unterholz erreichten und das Tier einschlossen.
»Achtung vor 'nem Ausfall!« tönte Montgomerys Stimme hinter uns aus dem Dickicht.
Ich stand auf dem Hang über den Büschen. Montgomery und Moreau gingen unten am Strand entlang. Langsam drangen wir durch das Netzwerk von Zweigen und Laub vor. Der Leopardenmensch verhielt sich still.
»Zurück in das Haus des Schmerzes, in das Haus des Schmerzes, in das Haus des Schmerzes!« bellte die Stimme des Affenmenschen einige zwanzig Meter rechts von mir.
Als ich das hörte, vergab ich dem armen Geschöpf alle Furcht, die es mir eingeflößt hatte. Ebenfalls rechts von mir brachen unter dem schweren Tritt des Pferderhinozeros die Äste und die Zweige schnellten zurück. Dann sah ich plötzlich durch das gezackte Laub hindurch im Halbdunkel unter dem üppigen Grün das Geschöpf, das wir jagten. Ich blieb stehen. Es hatte sich so klein wie möglich gemacht und blickte mich mit seinen leuchtenden grünen Augen an.
Es mag als ein seltsamer Widerspruch erscheinen – ich kann die Tatsache nicht erklären –, aber jetzt, da ich das Wesen dort in einer ganz und gar tierischen Haltung sah, mit seinen funkelnden Augen, und das unvollkommen menschliche Gesicht vor Angst verzerrt, da empfand ich wieder, wie sehr menschlich es doch war. Noch einen Moment, und die anderen Verfolger mußten es sehen, und es würde überwältigt und gefangen, um noch einmal die furchtbaren Qualen innerhalb der Ummauerung zu erfahren. Rasch zog ich den Revolver heraus, zielte zwischen die angsterfüllten Augen und feuerte.
In diesem Augenblick sah das Hyänenschwein das Geschöpf, warf sich mit einem gierigen Schrei darauf und schlug ihm blutdurstige Zähne in den Nacken. Rings um mich schwankten und krachten die grünen Massen des Dickichts, als das Tiervolk herbeistürzte. Ein Gesicht nach dem andern tauchte auf.
»Töten Sie's nicht, Prendick«, rief Moreau. »Töten Sie's nicht!« Und ich sah, wie er sich bückte, als er unter dem Laub der großen Farne durchbrach.
Im nächsten Moment hatte er das Hyänenschwein mit dem Griff seiner Peitsche zurückgeschlagen, und er und Montgomery hielten das aufgeregte, fleischfressende Tiervolk, und besonders M'ling, von dem noch zuckenden Leichnam ab. Das haarige graue Wesen kroch, nach der Leiche schnüffelnd, unter meinem Arm durch. Die anderen Tiere stießen mich beiseite, um besser sehen zu können.
»Verdammt, Prendick!« rief Moreau. »Ich wollte ihn haben.«
»Tut mir leid«, sagte ich, obgleich es mir nicht leid tat. »Es ist ganz spontan geschehen.« Ich fühlte mich krank vor Anstrengung und Aufregung. Ich drehte mich um, arbeitete mich aus dem Haufen des mich umdrängenden Tiervolkes heraus und ging allein den Hang hinauf zum höher gelegenen Teil der Landzunge. Ich hörte Moreaus gebieterische Stimme und knackende Geräusche, als die drei weißbandagierten Stiermenschen das Opfer zum Wasser hinunterschleppten.
Es war jetzt nicht schwer, allein zu sein. Das Tiervolk bekundete eine ganz menschliche Neugier für die Leiche und folgte ihr in dichter Schar; die Geschöpfe knurrten und beschnüffelten sie, als die Stiermenschen sie den Strand hinunterschleiften. Ich ging zu der Landzunge und beobachtete die Stiermenschen, wie sie, schwarz vor dem Abendhimmel, die schwere Last ins Meer hinaustrugen, und wie eine Eingebung überkam mich die Einsicht in die unsägliche Zwecklosigkeit der Vorgänge auf dieser Insel. Am Strand zwischen den Felsen unter mir standen der Affenmensch, das Hyänenschwein und noch ein paar andere vom Tiervolk um Moreau und Montgomery herum. Sie waren alle äußerst aufgeregt und flossen über von Beteuerungen ihrer Treue gegen das Gesetz. Und doch war ich absolut überzeugt, daß das Hyänenschwein am Töten der Kaninchen beteiligt gewesen war. Eine seltsame Gewißheit überkam mich, daß ich hier – wenn auch in groben Linien und grotesken Formen – im kleinen die ganze Bilanz des menschlichen Lebens vor mir hatte, das ganze Zusammenspiel von Instinkt, Vernunft und Schicksal in seiner einfachsten Form. Der Leopardenmensch war zufällig zugrunde gegangen. Das war der ganze Unterschied.
Die armen Tiere! Ich begann die gemeinere Seite von Moreaus Grausamkeit zu sehen. Ich hatte bisher noch nicht an den Schmerz und die Unruhe gedacht, die diese armen Opfer befielen, nachdem sie aus Moreaus Händen gekommen waren. Mir hatte nur vor den Tagen der wirklichen Peinigung im Hause geschaudert. Aber jetzt schien mir das der geringere Teil. Vorher waren sie Tiere gewesen; ihre Instinkte waren ihrer Umgebung angepaßt, und sie selbst so glücklich, wie lebendige Wesen nur sein können. Jetzt stolperten sie in den Fesseln der Menschlichkeit dahin, lebten in einer Angst, die niemals starb, von einem Gesetz gequält, das sie nicht verstanden; ihre halbmenschliche Existenz begann in Qualen, war ein einziger langer, innerer Kampf, eine einzige lange Furcht vor Moreau – und wozu? Die Nutzlosigkeit regte mich auf.
Hätte Moreau irgendein verständliches Ziel gehabt, so hätte ich wenigstens ein wenig mit ihm sympathisieren können. So empfindlich gegen den Schmerz bin ich nicht. Ich hätte ihm vielleicht sogar teilweise verziehen, wenn sein Motiv Haß gewesen wäre. Aber er war so verantwortungslos, so absolut gleichgültig. Seine Wißbegierde, seine tollen, ziellosen Forschungen trieben ihn vorwärts, und die von ihm geschaffenen Wesen wurden ausgesetzt, um ein Jahr oder so zu leben; um zu kämpfen, zu irren und zu leiden; um schließlich in Schmerzen zu sterben. Sie waren elend, der alte tierische Haß drängte sie, sich gegenseitig zu beunruhigen; nur das Gesetz hielt sie von einem kurzen, heißen Kampf und der klaren Entscheidung ihrer natürlichen Feindseligkeiten zurück.
In diesen Tagen entsprach meine Furcht vor dem Tiervolk meiner persönlichen Furcht für Moreau. Ich verfiel in einen krankhaften, leidenden Zustand, der auf meinem Geist dauernde Narben zurückgelassen hat. Ich muß gestehen, daß ich den Glauben an die Gesundheit der Welt verlor, als ich sah, daß diese Welt die schmerzhafte Unordnung dieser Insel duldete. Ein blindes Schicksal, ein ungeheurer, erbarmungsloser Mechanismus schien dieses Dasein zu formen, und Moreau (durch seine Leidenschaft für die Forschung), Montgomery (durch seine Leidenschaft für das Trinken), ich und das Tiervolk mit seinen Instinkten und geistigen Beschränkungen wurden erbarmungslos, unvermeidlich in dem unendlich komplizierten, nie ruhenden Räderwerk zerrissen und zermalmt. Aber dieser Zustand kam nicht über Nacht ... Ich glaube wirklich, ich greife ein wenig vor, wenn ich jetzt schon davon rede.
17. Eine Katastrophe
Nach kaum sechs Wochen hatte ich jede Empfindung außer Abneigung und Widerwillen gegen die schändlichen Experimente Moreaus verloren. Mein einziger Gedanke war, von diesen furchtbaren Karikaturen der Schöpfung fortzukommen, zurück zur frischen und gesunden Betriebsamkeit der Menschen. Meine anfängliche Freundschaft mit Montgomery vertiefte sich nicht. Seine lange Trennung von den Menschen, das heimliche Laster des Trinkens, seine offenbare Sympathie für das Tiervolk machten ihn mir verhaßt. Mehrere Male ließ ich ihn allein zu den Tiermenschen gehen. Ich vermied den Verkehr mit ihnen auf jede mögliche Weise. Ich verbrachte einen immer größeren Teil meiner Zeit am Strand und sah nach einem erlösenden Segel aus, das nie erschien, bis uns eines Tages ein entsetzliches Unheil befiel, das meine unheimliche Umgebung entscheidend veränderte.
Es war etwa sieben oder acht Wochen nach meiner Landung – eher mehr, denke ich, obgleich ich mich nie bemüht hatte, das Zeitgefühl nicht zu verlieren –, als diese Katastrophe hereinbrach. Es war am frühen Morgen – etwa gegen sechs. Ich war früh aufgestanden und hatte gefrühstückt; der Lärm dreier Tiermenschen, die Holz in den ummauerten Hof trugen, hatte mich aufgeweckt.
Nach dem Frühstück ging ich zu dem offenen Tor der Ummauerung, stand eine Weile dort, rauchte eine Zigarette und genoß die Frische des Morgens. Bald kam Moreau um die Ecke und grüßte mich. Er ging an mir vorbei, und ich hörte, wie er hinter mir sein Laboratorium aufschloß und betrat. Ich hatte mich mittlerweile so an die Greuel dieses Orts gewöhnt, daß ich ohne eine Spur von Erregung hörte, wie für das Pumaopfer ein neuer Tag der Qual begann. Das Tier empfing seinen Peiniger mit einem Schrei, der fast genau dem einer wütenden Amazone glich.
Dann geschah etwas. Was es war, weiß ich bis zum heutigen Tag nicht genau. Ich hörte hinter mir einen scharfen Schrei, einen Sturz, wandte mich um, und sah ein furchtbares Gesicht auf mich losstürzen, kein menschliches, kein tierisches, sondern ein höllisches, braun, mit roten verästelten Narben übersät, aus denen rote Tropfen traten, die lidlosen Augen flackernd. Ich warf meinen Arm in die Höhe, um den Hieb abzuwehren, der mich mit solcher Wucht kopfüber zu Boden schleuderte, daß ich mit gebrochenem Arm liegenblieb; und das mit Scharpie und rotgefleckten Bandagen umwickelte Ungeheuer sprang über mich fort. Ich überschlug mich mehrmals und rollte den Strand hinunter, versuchte, mich aufzusetzen und brach vollends zusammen. Dann erschien Moreau; sein massiges weißes Gesicht sah schrecklich aus, das Blut tropfte ihm von der Stirne; in der einen Hand trug er einen Revolver. Er sah mich kaum an, sondern stürzte hinter dem Puma her.
Ich versuchte, mich auf den andern Arm zu stützen und setzte mich auf. Die umwickelte Gestalt da vorn lief in großen Sätzen und Sprüngen den Strand entlang, und Moreau folgte ihr. Sie wandte den Kopf und sah ihn; dann schlug der Puma plötzlich einen Haken und stürzte auf die Büsche los. Er gewann mit jedem Schritt an Vorsprung. Ich sah ihn in das Unterholz hineintauchen, und Moreau, der schräg am Waldrand entlanglief, um ihn abzufangen, feuerte und fehlte, als er verschwand. Dann stürzte auch Moreau sich in die grüne Wildnis.
Ich starrte ihnen nach, und dann flammte der Schmerz in meinem Arm auf. Ich rappelte mich stöhnend auf. Montgomery erschien angezogen und mit dem Revolver in der Hand im Tor.
»Großer Gott, Prendick!« sagte er, ohne zu merken, daß ich verletzt war. »Die Bestie ist los! Hat die Kette aus der Mauer gerissen. Haben Sie sie gesehen?« Dann rief er scharf, als er sah, daß ich nach meinem Arm griff: »Was ist?«
»Ich stand im Tor«, antwortete ich.
Er trat heran und betrachtete meinen Arm. »Blut auf dem Ärmel«, sagte er und streifte den Flanell zurück. Er steckte die Waffe in die Tasche, befühlte sorgfältig meinen Arm und führte mich ins Haus. »Ihr Arm ist gebrochen«, sagte er; und dann: »Erzählen Sie mir genau, wie es geschehen ist, was geschehen ist.«
Ich erzählte ihm, was ich gesehen hatte, erzählte in abgehackten Sätzen, mit Lücken des Schmerzes dazwischen, und er verband mir indessen den Arm sehr geschickt und schnell. Er legte mir eine Binde um die Schulter, trat zurück und sah mich an. »Das wird gehen«, sagte er. »Und jetzt?« Er dachte nach. Dann ging er hinaus und verschloß die Tore der Ummauerung. Er blieb einige Zeit fort.
Mich beschäftigte hauptsächlich mein Arm. Der Zwischenfall erschien mir nur als eines mehr von vielen furchtbaren Dingen. Ich setzte mich in den Schiffsstuhl und, ich muß es gestehen, verfluchte die Insel von Herzen. Ich fühlte einen brennenden Schmerz in meinem Arm, als Montgomery wieder erschien.
Sein Gesicht war ziemlich bleich, und wenn er den Mund öffnete, war das Zahnfleisch seines Unterkiefers deutlicher zu sehen als jemals zuvor. »Ich habe ihn weder gesehen noch gehört«, sagte er. »Ich habe mir gedacht, vielleicht braucht er meine Hilfe.« Er starrte mich mit seinen ausdruckslosen Augen an. »Das war eine starke Bestie«, erklärte er. »Sie riß die Fesseln einfach aus der Mauer.«
Er trat ans Fenster, dann an die Tür, und dort drehte er sich zu mir um. »Ich werde ihm nachgehen«, sagte er. »Wir haben noch einen Revolver, den werde ich Ihnen hierlassen. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich bin ziemlich besorgt.«
Er holte die Waffe und legte sie vor mir auf den Tisch, dann ging er hinaus. Seine Besorgnis hatte mich angesteckt. Ich blieb nicht lange sitzen, als er fort war. Ich nahm den Revolver in die Hand und trat zur Tür.
Der Morgen war still wie der Tod. Kein Windhauch rührte sich, die See lag da wie poliertes Glas, der Himmel war leer, der Strand verlassen. In meinem erregten, ja fieberigen Zustand bedrückte mich diese Stille.
Ich versuchte zu pfeifen, und die Melodie erstarb. Ich fluchte noch einmal – das zweite Mal an diesem Morgen. Dann ging ich an die Ecke der Ummauerung und spähte über den grünen Busch, der Moreau und Montgomery verschluckt hatte, ins Land hinein. Wann würden sie zurückkehren, und wie?
Plötzlich erschien weit oben am Strand ein kleiner grauer Tiermensch, lief zum Wasserrand hinunter und begann, umherzuspritzen. Ich schlenderte zum Tor zurück, dann wieder zur Ecke, und so begann ich wie ein Posten auf Wache auf und ab zu schreiten. Einmal blieb ich stehen, als ich Montgomerys ferne Stimme hörte; sie rief: »Ooo – heee ... Mor–eau!« Mein Arm schmerzte weniger, war aber sehr heiß. Ich spürte, daß ich Fieber hatte, und fühlte mich durstig. Mein Schatten wurde kürzer. Ich beobachtete die ferne Gestalt, bis sie sich wieder entfernt hatte. Würden Moreau und Montgomery je zurückkehren? Drei Seevögel begannen um irgendeine gestrandete Köstlichkeit zu kämpfen.
Dann hörte ich weit hinter der Ummauerung einen Revolverschuß. Eine lange Stille, und dann knallte es nochmals. Dann ertönte in größerer Nähe ein gellender Schrei, und wieder folgte ein furchtbares Schweigen. Meine unglückliche Phantasie begann zu arbeiten und quälte mich. Dann ertönte plötzlich ganz in der Nähe ein Schuß.
Ich rannte erschreckt an die Ecke und sah Montgomery, das Gesicht blutrot, das Haar wirr, seine Hose am Knie zerrissen. Sein Gesicht drückte tiefe Bestürzung aus. Hinter ihm schlich der Tiermensch M'ling, und an M'lings Kiefern zeigten sich einige ominöse braune Flecken.
»Ist er gekommen?« fragte er.
»Moreau?« sagte ich. »Nein.«
»Mein Gott!« Der Mann war atemlos, er schluchzte fast nach Luft. »Gehen Sie wieder hinein«, sagte er und nahm meinen Arm. »Sie sind alle wie toll. Was kann geschehen sein? Ich weiß es nicht. Ich will's Ihnen erzählen, wenn ich wieder Luft habe. Wo ist Brandy?«
Er hinkte vor mir ins Zimmer und setzte sich in den Schiffsstuhl. M'ling warf sich vor der Tür hin und begann wie ein Hund zu keuchen. Ich brachte Montgomery etwas Brandy und Wasser. Er saß da und starrte ausdruckslos vor sich hin, während er wieder zu Atem zu kommen suchte. Nach einigen Minuten begann er mir zu erzählen, was geschehen war.
Er war der Spur Moreaus und seines Opfers eine Strecke weit gefolgt. Sie war zuerst wegen der abgebrochenen Zweige und zermalmten Büsche deutlich genug, weiße Fetzen waren von den Bandagen des Puma gerissen und da und dort war das Laub der Sträucher und des Unterholzes mit Blut beschmiert. Auf dem steinigen Grund am Bach, wo ich den Tiermenschen hatte trinken sehen, hatte er jedoch die Spur verloren und war dann ziellos nach Westen weitergewandert, stets Moreaus Namen rufend. Dann war M'ling mit einem leichten Beil zu ihm gestoßen. M'ling hatte nichts von der Puma-Affäre gesehen, hatte Holz gefällt und ihn rufen gehört. Sie gingen zusammen weiter. Zwei Tiermenschen kamen und spähten durchs Unterholz nach ihnen hin, und zwar mit so seltsamen Bewegungen und in einer derart verstohlenen Haltung, daß Montgomery erschrak. Er rief sie an, und sie flohen schuldbewußt. Er hörte auf, ihnen nachzurufen, und beschloß, nachdem er eine Zeitlang unentschlossen umhergewandert war, die Hütten des Tiervolks aufzusuchen.
Er fand die Schlucht verlassen.
Da er immer ängstlicher wurde, machte er sich auf den Heimweg. Da begegnete er den beiden Schweinemenschen, die ich am Abend meiner Ankunft hatte tanzen sehen; sie waren am Munde blutbefleckt und sehr erregt. Sie brachen prasselnd durch die Farne und standen mit wilden Gesichtern still, als sie ihn sahen. Er knallte etwas zaghaft mit der Peitsche nach ihnen, und alsbald stürzten sie auf ihn los. Nie zuvor hatte ein Tiermensch das gewagt. Einen schoß er durch den Kopf, auf den andern warf sich M'ling, und die beiden wälzten sich ringend auf dem Boden. M'ling überwältigte die Bestie, und Montgomery erschoß auch sie, während sie sich unter M'lings Griff wand. M'ling hatte ihr die Zähne in den Hals gegraben, und Montgomery hatte einige Mühe, ihn fortzureißen.
Dann eilten sie zu mir zurück. Unterwegs war M'ling plötzlich in ein Dickicht gestürzt und hatte einen stämmigen Panthermenschen herausgejagt, der gleichfalls blutbefleckt war und an einer Fußwunde lahmte. Diese Bestie war eine Strecke weit gelaufen und hatte sich dann gestellt; Montgomery erschoß auch sie – ich fand, ein wenig leichtfertig.
»Was soll das alles heißen?« fragte ich. Montgomery schüttelte den Kopf und wandte sich von neuem dem Brandy zu.
18. Moreaus Auffindung
Als Montgomery das dritte Glas Brandy hinunterstürzte, schritt ich ein. Er war schon mehr als halb betrunken. Ich sagte ihm, Moreau müsse mittlerweile etwas Ernstes passiert sein, sonst wäre er zurückgekehrt, und es wäre an der Zeit festzustellen, was ihm zugestoßen sei. Montgomery erhob einige schwache Einwände und stimmte mir schließlich bei. Wir aßen ein wenig, und dann brachen wir alle drei auf.
Vielleicht liegt es an dem Zustand der Spannung, in dem ich mich damals befand, aber noch jetzt ist jener Aufbruch in die heiße Stille des tropischen Nachmittags in meinem Gedächtnis merkwürdig lebendig. M'ling ging voran; seine Schultern hatte er hochgezogen, und sein unheimlicher schwarzer Rücken bewegte sich in raschen Zuckungen, wenn er stehenblieb und erst auf die eine und dann auf die andere Seite des Weges starrte. Er war unbewaffnet. Sein Beil hatte er verloren, als er und sein Herr den Schweinemenschen begegnet waren. Wenn es zum Kampf kam, waren die Zähne seine Waffen. Montgomery folgte mit stolpernden Schritten, die Hände in den Taschen, das Gesicht gesenkt; er war betrunken, verdrossen und grollte mir, weil ich ihm den Brandy weggenommen hatte. Mein linker Arm lag in einer Binde – zum Glück mein linker – und ich trug meinen Revolver in der Rechten.
Wir folgten einem schmalen Pfad durch das dichte Unterholz und gingen nach Nordwesten. Und plötzlich blieb M'ling stehen; er schien vor Wachsamkeit erstarrt zu sein. Montgomery stolperte fast über ihn und blieb dann auch stehen. Wir hörten Stimmen zwischen den Bäumen und Schritte, die sich näherten.
»Er ist tot«, sagte eine tiefe vibrierende Stimme.
»Er ist nicht tot, er ist nicht tot«, schnatterte eine andere.
»Wir haben's gesehen, wir haben's gesehen«, sagten mehrere Stimmen.
»Hallo!« rief Montgomery plötzlich. »Hallo da!«
»Zum Henker!« sagte ich und faßte meine Pistole fester.
Es folgte eine Stille, dann knackte es erst hier, dann dort in dem wirren Gestrüpp, und dann erschien ein halbes Dutzend Gesichter, unheimliche Gesichter, von einem unheimlichen Leuchten erhellt. M'ling gab ein knurrendes, kehliges Geräusch von sich. Ich erkannte den Affenmenschen – ich hatte auch seine Stimme schon erkannt – und zwei von den weißumwickelten, braungesichtigen Geschöpfen, die ich in Montgomerys Boot gesehen hatte. Bei ihnen waren die zwei scheckigen Bestien und das graue, schrecklich krumme Geschöpf, das das Gesetz vorsprach, mit den schweren grauen Augenbrauen und den grauen Locken, die ihm von einem Mittelscheitel aus auf die schräge Stirn niederhingen – ein schweres, gesichtsloses Wesen mit seltsamen roten Augen, das uns aus dem Grün her neugierig ansah.
Eine Zeitlang sprach niemand. Dann schluckte Montgomery: »Wer ... sagte, er sei tot?«
Der Affenmensch sah das haarige graue Wesen schuldbewußt an. »Er ist tot«, erklärte dieses Ungeheuer. »Sie haben es gesehen.«
Immerhin wirkten diese Tierwesen nicht bedrohlich. Sie schienen eher von Furcht gelähmt und verwirrt zu sein. »Wo ist er?« fragte Montgomery.
»Da hinten«, zeigte das graue Ungeheuer.
»Gibt es noch ein Gesetz?« fragte der Affenmensch. »Soll noch immer dies und das bleiben? Ist er wirklich tot?« »Gibt es noch ein Gesetz?« wiederholte der in Weiß. »Gibt es ein Gesetz, du andrer mit der Peitsche? Er ist tot«, sagte das haarige graue Wesen. Und sie standen alle da und beobachteten uns.
»Prendick«, sagte Montgomery und richtete die stumpfen Augen auf mich. »Er ist tot – offenbar.«
Ich war während dieses Gesprächs hinter ihm gestanden. Ich erkannte plötzlich, wie es nun um die Tiermenschen bestellt war. Ich trat plötzlich vor und erhob die Stimme: »Kinder des Gesetzes«, sagte ich, »er ist nicht tot.«
M'ling wandte seine scharfen Augen auf mich. »Er hat seine Gestalt gewechselt – er hat den Leib gewechselt«, fuhr ich fort. »Eine Zeitlang werdet ihr ihn nicht sehen. Er ist ... dort« – ich zeigte nach oben – »wo er euch beobachten kann. Ihr könnt ihn nicht sehen. Aber er kann euch sehen. Fürchtet das Gesetz.«
Ich blickte sie offen an. Sie wichen zurück. »Er ist groß, er ist gut«, sagte der Affenmensch und blickte furchtsam zwischen den dichten Bäumen nach oben.
»Und das andere Ding?« fragte ich.
»Das Ding, das blutete und schreiend und schluchzend lief – das ist auch tot«, sagte das graue Wesen und sah mich an.
»Das ist gut«, grunzte Montgomery.
»Der andere mit der Peitsche«, begann das graue Wesen.
»Nun?« fragte ich.
»Sagte, er ist tot.«
Aber Montgomery war noch nüchtern genug, um zu verstehen, warum ich Moreaus Tod leugnete. »Er ist nicht tot«, sagte er langsam. »Absolut nicht tot. Nicht mehr tot als ich.«
»Einige«, erklärte ich, »haben das Gesetz gebrochen. Sie werden sterben. Einige sind gestorben. Zeigt uns jetzt, wo sein alter Leib liegt. Der Leib, den er wegwarf, weil er ihn nicht mehr nötig hatte.«
»Hier geht der Weg, Mann, der ins Meer ging«, sagte das graue Wesen.
Und unter der Führung dieser sechs Geschöpfe marschierten wir durch die Wildnis der Farne und Lianen und Baumstämme nach Nordwesten. Dann ertönte ein Schreien und Krachen unter den Zweigen, und ein kleiner rosiger Homunculus stürzte kreischend vorbei. Unmittelbar dahinter erschien ein wildes Ungeheuer, blutbespritzt, in jäher Verfolgung begriffen, und es war fast bei uns, ehe es seinen Lauf hemmen konnte. Das graue Wesen sprang zur Seite; M'ling stürzte knurrend auf das Untier los und wurde beiseite geschleudert; Montgomery feuerte, fehlte, senkte den Kopf, warf die Arme hoch und wandte sich zur Flucht. Ich schoß ebenfalls, und die Bestie kam noch ein Stück vorwärts; ich feuerte noch einmal blindlings auf das häßliche Gesicht. Im Feuerstoß sah ich, wie das Leben aus den Zügen schwand. Das Gesicht war eingefallen. Trotzdem stürzte das Tier an mir vorbei, faßte Montgomery, hielt ihn, stürzte mit ihm vornüber und riß ihn zuckend mit sich – im Todeskampf.
Ich war mit M'ling, der toten Bestie und dem gestürzten Mann allein. Montgomery erhob sich langsam und starrte benebelt auf den zerschmetterten Tiermenschen neben ihm. Bei diesem Anblick wurde er beträchtlich nüchterner. Er rappelte sich auf. Dann sah ich das graue Wesen vorsichtig durch die Bäume zurückkehren.
»Sieh«, sagte ich und zeigte auf das tote Tier, »ist das Gesetz nicht lebendig? Das kommt vom Bruch des Gesetzes.«
Das graue Geschöpf blickte auf die Leiche. »Er schickt das Feuer, das tötet«, sagte der Sprecher des Gesetzes mit seiner tiefen Stimme, einen Teil des Rituals wiederholend.
Die anderen sammelten sich ringsherum und starrten eine Zeitlang auf das tote Ungeheuer.
Schließlich näherten wir uns dem westlichen Ende der Insel. Wir fanden die benagte und verstümmelte Leiche des Puma, dessen Schulterblatt von einer Kugel zerschmettert war, und vielleicht zwanzig Meter weiter entdeckten wir endlich, was wir suchten. Moreau lag auf einem niedergetrampelten Rasenfleck mit dem Gesicht nach unten in einem Schilfgebüsch. Eine Hand war fast vom Handgelenk getrennt, das Silberhaar mit Blut bespritzt. Der Kopf war mit den Ketten des Puma eingeschlagen worden. Das geknickte Schilf unter ihm war mit Blut beschmiert. Seinen Revolver konnten wir nicht finden. Montgomery drehte den Leichnam um.
*
Mit der Hilfe von sieben Tiermenschen – denn er war ein schwerer Mann – trugen wir Moreau zur Ummauerung zurück. Von Zeit zu Zeit legten wir eine Rast ein. Die Nacht wurde dunkel. Zweimal hörten wir unsichtbare Geschöpfe heulend und kreischend an unserer kleinen Schar vorbeiziehen, und einmal erschien das kleine, rosige Faultiergeschöpf, starrte uns an und verschwand wieder. Aber wir wurden nicht mehr angegriffen. An den Toren der Ummauerung verließ uns unsere Gesellschaft vom Tiervolk – und M'ling ging mit den anderen. Wir schlossen uns ein und brachten dann Moreaus zerfleischten Leichnam in den Hof, wo wir ihn auf einen Haufen Buschholz legten.
Dann gingen wir ins Laboratorium und machten allem ein Ende, was wir dort noch lebend vorfanden.
19. Montgomerys Feiertag
Als wir damit fertig waren und uns gewaschen hatten und gegessen, gingen Montgomery und ich in mein kleines Zimmer und besprachen zum erstenmal unsere Lage ernsthaft. Es war fast Mitternacht. Montgomery war beinahe nüchtern, aber sehr verstört. Er war merkwürdig stark unter dem Einfluß von Moreaus Persönlichkeit gestanden. Ich glaube nicht, daß er je daran gedacht hatte, Moreau könne sterben. Dieses Unheil bewirkte den plötzlichen Zusammenbruch aller Gewohnheiten, die in den zehn oder mehr monotonen Jahren seines Aufenthalts auf der Insel ein Teil seiner Natur geworden waren. Er redete zusammenhangloses Zeug, beantwortete meine Fragen verkehrt und schweifte zu allgemeinen Fragen ab.
»Diese alberne Welt«, sagte er. »Was für ein Wirrwarr das alles ist! Ich habe überhaupt kein Leben gehabt. Ich möchte wissen, wann es endlich anfängt. Sechzehn Jahre von Kindermädchen und Schulmeistern nach Belieben eingeschüchtert, fünf Jahre hab' ich mich in London mit der Medizin abgeplagt – schlechtes Essen, schäbige Wohnung, schäbige Kleider, schäbige Laster – ein Schnitzer – ich wußte es nicht besser – und auf diese viehische Insel verjagt. Zehn Jahre hier! Wozu das alles, Prendick? Sind wir Seifenblasen, die ein kleines Kind bläst?«
Es war schwer, diesem irren Gerede beizukommen. »Woran wir jetzt zu denken haben«, sagte ich, »ist, wie wir von dieser Insel fortkommen.«
»Was nützt es, wenn ich fortkomme? Ich bin ein Ausgestoßener. Wo soll ich hin? Für Sie ist das alles ganz schön und gut, Prendick. Der arme alte Moreau! Wir können ihn nicht da liegen lassen ... So, wie die Dinge stehen, werden sie ihm die Knochen abnagen ... Und außerdem, was soll aus dem anständigen Teil des Tiervolks werden?«
»Nun«, sagte ich, »lassen wir das für morgen. Ich habe gedacht, wir sollten das Buschholz zu einem Scheiterhaufen schichten und seine Leiche – und die anderen Dinge verbrennen ... Was aber wird wirklich mit dem Tiervolk geschehen?«
»Ich weiß es nicht. Ich vermute, daß die, die aus Bestien gemacht sind, früher oder später alberne Esel aus sich machen werden. Wir können die Gesellschaft nicht schlachten. Oder? Das gibt Ihnen wohl Ihre Art von Menschlichkeit ein? Aber sie werden sich ändern. Sie ändern sich sicher.«
Er redete in dieser Weise unzusammenhängend weiter, bis ich schließlich fühlte, wie mir die Geduld riß. »Himmel und Hölle!« rief er über solche Unverschämtheit. »Können Sie denn nicht einsehen, daß ich schlimmer dran bin als Sie?« Und er stand auf und holte den Brandy. »Trinken Sie«, sagte er, als er zurückkam. »Sie Logik hackender, kalkgesichtiger Heiliger von 'nem Atheisten, trinken Sie.«
»Nein«, sagte ich und beobachtete grimmig sein Gesicht unter dem gelben Paraffinlicht, als er sich in ein geschwätziges Elend trank. Ich erinnere mich, daß er mich entsetzlich anwiderte. Er ging zu einer rührseligen Verteidigung des Tiervolks und M'lings über. M'ling, sagte er, sei das einzige Wesen, das sich je etwas aus ihm gemacht habe. Und plötzlich kam ihm ein Gedanke.
»Ich laß' mich hängen!« sagte er, kam stolpernd auf die Füße und packte die Brandyflasche. Ich hatte eine plötzliche Intuition: Jetzt wußte ich, was er wollte. »Sie geben der Bestie nichts zu trinken!« rief ich, stand auf und trat ihm entgegen.
»Bestie!« sagte er. »Sie sind die Bestie. Er trinkt seinen Schnaps wie ein Christ. Gehen Sie mir aus dem Weg, Prendick!«
»Um Gottes willen«, sagte ich.
»Gehen Sie ... aus dem Weg!« brüllte er und zog plötzlich den Revolver.
»Schön«, sagte ich und trat zur Seite. Ich hatte Lust, mich auf ihn zu stürzen, als er die Hand auf den Türgriff legte, aber der Gedanke an meinen gebrauchsunfähigen Arm hielt mich zurück. »Sie haben 'ne Bestie aus sich gemacht. Sie können zu den Bestien gehen.«
Er stieß die Tür auf und stand, mir halb zugewandt, teils im gelben Lampenlicht, teils im bleichen Glanz des Mondes; die Augenhöhlen unter den borstigen Augenbrauen waren wie schwarze Flecken. »Sie sind ein salbungsvoller Heuchler, Prendick, ein alberner Esel! Sie haben immer Angst und Einbildungen. Wir stehen auf des Messers Schneide. Ich bin entschlossen, mir morgen den Hals durchzuschneiden. Ich will heut' einen verdammt guten Feiertag halten.«
Er wandte sich ab und ging ins Mondlicht hinaus. »M'ling«, rief er; »M'ling, alter Freund!«
Drei dunkle Geschöpfe kamen im Silberlicht am Rand des fahlen Strandes heran, eines weißbandagiert, die beiden anderen schwarze Flecken, die ihm folgten. Sie standen still und starrten ins Dunkel. Dann sah ich M'lings krumme Schultern, als er um die Ecke des Hauses herumkam.
»Trinkt«, rief Montgomery; »trinkt, ihr Bestien! Trinkt und seid Menschen. Verdammich, ich bin der gescheiteste! Das hat Moreau vergessen. Das ist die letzte Vollendung. Trinkt, sag' ich euch.« Die Flasche in der Hand schwingend, lief er in einem schnellen Trab nach Westen, und M'ling lief zwischen ihm und den drei undeutlichen Gestalten, die folgten.
Ich trat an die Tür. Ich sah, wie Montgomery stehenblieb und M'ling eine Dosis des unvermischten Brandys gab, und die fünf Gestalten verschmolzen zu einem einzigen verschwommenen Fleck. »Singt«, hörte ich Montgomery rufen: »singt alle zusammen: ›Zum Henker mit dem alten Prendick!‹ ... So ist's recht. Jetzt noch einmal: ›Zum Henker mit dem alten Prendick.‹« Die dunkle Gruppe zerfiel in fünf einzelne Gestalten, die langsam das Band des leuchtenden Strandes entlangtorkelten. Jeder heulte, wie es ihm behagte, kläffte Schimpf gegen mich oder machte allem Luft, was ihm der Brandy eingab.
Dann hörte ich Montgomerys ferne Stimme rufen: »Rechts herum!« und sie verschwanden schreiend und heulend im schwarzen Dickicht der Bäume landeinwärts. Langsam, sehr langsam, wurde es wieder still. Der friedliche Glanz der Nacht war wiederhergestellt. Der Mond war jetzt über den Meridian hinüber und wanderte nach Westen. Er war voll und sehr hell und zog durch den leeren blauen Himmel. Der Schatten der Mauer lag mir, eine Elle breit und von tintiger Schwärze, zu Füßen. Das Meer im Osten war grau, dunkel und geheimnisvoll, und zwischen dem Meer und dem Schatten glitzerte und funkelte der graue Sand aus vulkanischem Glas und Kristallen, als bestünde er aus Diamanten. Hinter mir leuchtete die Paraffinlampe heiß und rot.
Dann schloß ich die Tür, versperrte sie und ging in den Hof, wo Moreau neben seinen letzten Opfern lag – neben den Hetzhunden und dem Lama und noch einigen elenden Bestien. Sein massiges Gesicht, ruhig selbst noch nach diesem furchtbaren Tode, starrte, die harten Augen geöffnet, zum toten weißen Mond hinauf. Ich setzte mich auf den Rand des Abflusses, und die Augen auf diesen gespenstischen Haufen von Licht und unheimlichen Schatten gerichtet, begann ich Pläne zu schmieden.
Am Morgen wollte ich einige Vorräte sammeln und sie in dem kleinen Boot verstauen, dann Feuer an den Scheiterhaufen legen und noch einmal in die Trostlosigkeit der See hinausziehen. Ich fühlte, daß es für Montgomery keine Hilfe gab; daß er eigentlich verwandt war mit diesem Tiervolk, unbrauchbar für die menschliche Gesellschaft. Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß und plante. Es muß eine Stunde oder so gewesen sein. Dann wurde mein Grübeln durch Montgomerys Rückkehr unterbrochen. Ich hörte ein Schreien aus vielen Kehlen, einen Aufruhr triumphierender Rufe, der zum Strand hinunter zog – ein Heulen und Schreien und aufgeregtes Kreischen, das nahe am Rande des Wassers innezuhalten schien. Der Lärm schwoll an und klang ab; ich hörte schwere Schläge und das splitternde Krachen von Holz, aber das beunruhigte mich in diesem Moment noch nicht. Ein Gesang in schaurigen Dissonanzen erklang.
Meine Gedanken kehrten zu der geplanten Flucht zurück. Ich stand auf, holte die Lampe und ging in einen Schuppen, in dem ich ein paar Tonnen gesehen hatte. Dann interessierte mich der Inhalt einiger Zwiebackdosen, und ich öffnete eine. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich plötzlich eine rote Gestalt und drehte mich scharf um.
Hinter mir lag der Hof, im Mondlicht lebhaft schwarz und weiß, und der Haufe von Buschholz und Scheiten, auf dem Moreau und seine verstümmelten Opfer übereinandergeschichtet waren. Sie schienen einander in einem letzten Racheringkampf gepackt zu haben. Moreaus Wunden klafften schwarz in die Nacht, und das Blut, das herabgetropft war, bildete schwarze Lachen auf dem Sande. Dann sah ich die Ursache des Phantoms: einen roten Schein, der über die Mauer gegenüber zog und tanzte. Ich deutete ihn falsch, meinte, es sei ein Widerschein von der flackernden Lampe, und wandte mich wieder den Vorräten zu. Ich stöberte herum, so gut es ein einarmiger Mensch vermag, fand dieses und jenes brauchbare Ding und legte alles für den morgigen Aufbruch beiseite. Ich konnte mich nur langsam bewegen, und die Zeit verstrich schnell. Bald erschien das erste Tageslicht.
Das Singen erstarb und wich einem Lärmen, das plötzlich zu einem Tumult wurde. Ich hörte Rufe: »Mehr, mehr!«, dann klang es wie ein Streit, und dann ertönte ein wilder Schrei. Die Art der Geräusche änderte sich so, daß meine Aufmerksamkeit gefesselt wurde. Ich ging in den Hof hinaus und horchte. Dann folgte, messerscharf inmitten all der Verwirrung, der Knall eines Revolvers.
Ich stürzte sofort durch mein Zimmer an die kleine Tür. Dabei hörte ich einige der Kisten hinter mir niedergleiten und auf den Boden des Schuppens donnern. Glas klirrte. Aber ich kümmerte mich nicht darum. Ich stieß die Tür auf und blickte hinaus.
Oben am Strand, neben dem Bootshaus, brannte ein Feuer, das Funken in die ungewisse Dämmerung sandte. Darum herum drängte sich eine Masse schwarzer Gestalten. Ich hörte Montgomery meinen Namen rufen. Sofort lief ich mit dem Revolver in der Hand auf dieses Feuer zu. Ich sah den Feuerstoß aus Montgomerys Revolver noch einmal dicht am Boden. Montgomery war hingefallen. Ich rief mit all meiner Kraft und schoß in die Luft.
Ich hörte jemanden rufen: »Der Herr!« Der verworrene schwarze Haufe zerfiel, die einzelnen Gestalten stoben auseinander, das Feuer leuchtete auf und sank zusammen. Die Schar des Tiervolks floh in plötzlicher Panik vor mir den Strand hinauf. In meiner Aufregung feuerte ich auf ihre Rücken, als sie zwischen den Büschen verschwanden. Dann wandte ich mich zu der schwarzen Masse am Boden.
Montgomery lag auf dem Rücken, und der graue, haarige Tiermensch hockte über seiner Leiche. Die Bestie war tot, hielt aber noch Montgomerys Hals mit seinen krummen Klauen umklammert. Unmittelbar daneben lag M'ling ganz still auf seinem Gesicht; sein Nacken war durchgebissen, und er hielt den oberen Teil der zerschmetterten Brandyflasche in der Hand. Zwei weitere Gestalten lagen nah beim Feuer, die eine regungslos, die andere hob, stoßweise stöhnend, dann und wann langsam den Kopf und ließ ihn wieder fallen.
Ich packte den grauen Tiermenschen und zerrte ihn von Montgomerys Körper herunter; seine Klauen ließen den zerrissenen Hals nur widerstrebend los.
Montgomery war schwarz im Gesicht und atmete kaum noch. Ich spritzte ihm Seewasser ins Antlitz und bettete seinen Kopf auf meinen ausgebreiteten Rock. M'ling war tot. Das verwundete Geschöpf am Feuer – es war ein Wolfmensch mit bärtigem, grauem Gesicht – lag, wie ich fand, mit dem Oberkörper auf dem noch glühenden Holz. Das elende Ding war so furchtbar verletzt, daß ich mich erbarmte und ihm eine Kugel gab. Das andere Tier war einer von den weißbandagierten Stiermenschen. Es war tot.
Das Feuer neben mir war zusammengesunken, und nur verkohlte Holzscheite glühten noch in der Mitte, gemischt mit der grauen Asche des Buschholzes. Ich fragte mich, woher Montgomery dieses Holz hatte. Dann sah ich, daß die Dämmerung angebrochen war. Der Himmel war heller geworden, der untergehende Mond erblaßte und stand glanzlos im leuchtenden Tagesblau. Der Himmel war im Osten rot umrändert.
Plötzlich hörte ich hinter mir einen dumpfen Knall und ein Zischen; ich sah mich um und sprang mit einem Schreckensschrei auf die Füße. Große wirbelnde Massen schwarzen Rauchs quollen aus der Ummauerung empor, und durch die sich drehenden, dunklen Qualmfetzen schossen flackernde Fäden blutroter Flammen. Dann fing das Strohdach Feuer. Ich sah, wie die Flammen das Stroh erfaßten. Ein Feuerstrahl schnellte aus dem Fenster meines Zimmers hervor.
Ich wußte sofort, was geschehen war. Ich entsann mich des Krachs, den ich gehört hatte. Als ich Montgomery zu Hilfe geeilt war, hatte ich die Lampe umgestoßen.
Ich erkannte, wie aussichtslos es war, irgend etwas aus dem ummauerten Hof retten zu wollen. Mein Fluchtplan fiel mir wieder ein, und ich wandte mich rasch und blickte dahin, wo die beiden Boote auf dem Strande gelegen waren. Sie waren fort! Zwei Beile lagen neben mir im Sand, Splitter und Holzstücke waren rings verstreut, und die Asche des Feuers gloste rauchend in der Dämmerung. Montgomery hatte die Boote verbrannt, um sich an mir zu rächen und unsere Rückkehr zu den Menschen zu verhindern.
Ein plötzlicher Wutkrampf schüttelte mich. Am liebsten hätte ich ihm den Schädel eingeschlagen, wie er mir da hilflos zu Füßen lag. Dann bewegte sich plötzlich seine Hand – so schwach, so jämmerlich, daß meine Wut verschwand. Er stöhnte und öffnete einen Moment die Augen.
Ich kniete neben ihm nieder und hob seinen Kopf. Er starrte schweigend in die Dämmerung; dann begegnete sein Blick meinen Augen. Die Lider fielen. »Leid«, sagte er dann mit Anstrengung. Es schien, als versuchte er zu denken. »Das letzte«, murmelte er, »das letzte von dieser albernen Welt. Was für ein Wirrwarr ...«
Ich horchte. Sein Kopf sank hilflos zur Seite. Ich dachte, etwas Wasser könnte ihn beleben, aber es war kein Trinkwasser zur Hand. Er schien plötzlich schwerer zu werden. Mir wurde das Herz kalt.
Ich beugte mich nieder und steckte die Hand durch den Riß in seinem Hemd. Er war tot; und gerade, als er starb, tauchte der Rand der Sonne weißglühend im Osten über der Bucht auf, schleuderte Strahlen über den Himmel und verwandelte das dunkle Meer in einen wogenden Aufruhr blendenden Lichts. Wie eine Glorie umgaben die Strahlen das eingefallene Gesicht.
Ich ließ Montgomerys Kopf sanft auf das rohe Kissen gleiten, das ich für ihn gemacht hatte, und stand auf. Vor mir lag die glitzernde Öde des Meeres, die furchtbare Einsamkeit, unter der ich schon so viel gelitten hatte; hinter mir die Insel unter dem Sonnenaufgang – das Tiervolk blieb still und unsichtbar. Die Ummauerung brannte mit all ihren Vorräten und ihrer Munition lichterloh, plötzliche Flammenstrahlen schössen empor, ich hörte stoßweises Prasseln und hin und wieder einen Knall. Der schwere Rauch trieb den Strand hinauf von mir fort und wälzte sich dicht über den fernen Baumwipfeln zu den Hütten in der Schlucht. Neben mir lagen die verkohlten Reste der Boote und die fünf Leichen.
Dann kamen aus den Büschen drei Tiermenschen mit krummen Schultern, vorgeschobenen Köpfen, ungestalten, linkisch ausgestreckten Händen und forschenden, unfreundlichen Augen und traten mit zögernden Gesten auf mich zu.
20. Allein mit dem Tiervolk
Ich trat diesen Leuten – und zugleich mit ihnen meinem Schicksal – entgegen, einarmig, denn mein anderer Arm war ja gebrochen. In der Tasche hatte ich einen Revolver, den ich bereits zweimal abgefeuert hatte. Zwischen den Holzsplittern, die auf dem Strand verstreut waren, lagen die beiden Äxte, die man benutzt hatte, um die Boote zu zerschlagen. Hinter mir strömte langsam die Flut herein.
Nichts als Mut konnte mir helfen. Ich blickte den herankommenden Ungeheuern offen ins Gesicht. Sie mieden meine Augen, und ihre zitternden Nüstern witterten die Leichen, die hinter mir auf dem Strande lagen. Ich machte ein halbes Dutzend Schritte, hob die blutbefleckte Peitsche auf, die unter der Leiche des Wolfmenschen lag, und knallte damit.
Sie standen still und starrten mich an. »Grüßt«, sagte ich. »Beugt euch!«
Sie zögerten. Einer fiel in die Knie. Ich wiederholte meinen Befehl, das Herz schlug mir im Hals, und ging auf sie zu. Noch einer kniete nieder, und dann auch die beiden anderen.
Ich ging zu den Leichen, hielt aber das Gesicht den drei knienden Tiermenschen zugewandt, wie ein Schauspieler, der die Bühne hinaufgeht und dabei das Publikum ansieht.
»Sie haben das Gesetz gebrochen«, sagte ich und setzte den Fuß auf den Sprecher des Gesetzes. »Sie sind erschlagen worden. Selbst der Sprecher des Gesetzes. Selbst der andere mit der Peitsche. Groß ist das Gesetz! Kommt und seht.«
»Keiner entkommt!« sagte einer der Tiermenschen, trat vor und glotzte.
»Keiner entkommt«, wiederholte ich. »Also hört und tut, wie ich befehle.« Sie standen auf und blickten sich gegenseitig fragend an.
»Kommt her«, befahl ich.
Ich hob die Beile auf, drehte Montgomery um, nahm seinen Revolver, der noch mit zwei Patronen geladen war, beugte mich nieder, um die Taschen zu durchsuchen und fand noch ein halbes Dutzend Patronen.
»Nehmt ihn«, sagte ich, stand auf und deutete mit der Peitsche; »nehmt ihn, tragt ihn hinaus, und werft ihn ins Meer.«
Sie kamen heran, offenbar noch immer in Angst vor Montgomery, aber noch mehr in Angst vor meiner knallenden roten Peitsche, und nach einigem Zögern und Warten, einigem Peitschenknallen und Rufen hoben sie den Leichnam vorsichtig auf, trugen ihn zum Wasser hinunter und gingen platschend ins gleißende, wogende Meer. »Weiter«, sagte ich, »weiter – tragt ihn weit!«
Sie gingen bis zu ihren Achselhöhlen ins Wasser, standen dann still und sahen mich an. »Laßt ihn los«, sagte ich, und Montgomerys Leiche verschwand spritzend. Etwas in meiner Brust zog sich zusammen. »Gut!« sagte ich mit brüchiger Stimme, und sie kamen eilig und ängstlich zum Rande des Wassers zurück, lange schwarze Spuren im Silber zurücklassend. Am Strand blieben sie stehen, wandten sich um und starrten ins Meer, als erwarteten sie, daß Montgomery sich alsbald daraus erhebe und Rache fordere.
»Jetzt diese«, sagte ich und zeigte auf die anderen Leichen.
Sie hüteten sich, der Stelle nahe zu kommen, wo sie Montgomery ins Wasser geworfen hatten: statt dessen trugen sie die toten Tiermenschen vielleicht hundert Meter weit schräg über den Strand, ehe sie hinauswateten und sie versenkten.
Als ich zusah, wie sie M'lings zerfleischte Reste aufluden, hörte ich hinter mir einen leichten Schritt, wandte mich schnell um und sah das große Hyänenschwein vielleicht ein Dutzend Meter von mir entfernt. Es hielt den Kopf gesenkt, die funkelnden Augen auf mich gerichtet, die steifen Hände geballt und eng an seine Seiten gepreßt. Es blieb in seiner geduckten Haltung stehen, als ich mich umdrehte, und wandte die Augen ein wenig ab.
Einen Moment standen wir Aug' in Auge. Ich ließ die Peitsche fallen und griff nach der Pistole in meiner Tasche. Denn ich gedachte diese Bestie – die furchtbarste von allen, die jetzt noch auf der Insel waren – beim ersten Anlaß, der sich mir bot, zu töten. Es mag hinterhältig erscheinen, aber ich war dazu entschlossen. Ich hatte vor ihr viel mehr Angst als vor irgend welchen anderen vom Tiervolk. Ihr Leben, das wußte ich, war eine dauernde Bedrohung des meinen.
Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich mich gesammelt hatte. Dann rief ich: »Grüße! Beuge dich!«
Seine Zähne blitzten, und es knurrte mich an. »Wer bist du, daß ich ...«
Vielleicht ein wenig zu krampfhaft zog ich meinen Revolver, zielte und feuerte rasch. Ich hörte das Tier aufschreien, sah es zur Seite laufen und sich wenden; da wußte ich, daß ich gefehlt hatte, und zog den Hahn zum zweiten Schuß mit dem Daumen zurück. Aber das Ungeheuer lief schon Hals über Kopf hakenschlagend davon, und ich wollte keinen zweiten Fehlschuß riskieren. Hin und wieder blickte es sich über die Schulter nach mir um. Es lief den Strand entlang und verschwand unter den treibenden Massen dichten Rauchs, die noch aus der brennenden Ummauerung strömten. Eine Zeitlang stand ich da und starrte ihm nach. Ich wandte mich wieder meinen drei gehorsamen Tiermenschen zu und gab ihnen ein Zeichen, die Leiche fallen zu lassen, die sie noch trugen. Dann ging ich zu der Stelle neben dem Feuer zurück, wo die Leichen gelegen waren, und bewarf sie so lange mit Sand, bis die braunen Blutflecken aufgesogen und verborgen waren.
Ich entließ meine drei Diener mit einer Handbewegung und ging den Strand hinauf ins Dickicht. Den Revolver trug ich in der Hand, die Peitsche mit den Beilen in meine Armbinde gehängt. Ich wollte allein sein, um die Lage zu überdenken, in der ich mich jetzt befand.
Etwas Furchtbares, das mir erst klarzuwerden begann, war, daß es jetzt auf der ganzen Insel keinen sicheren Ort mehr gab, wo ich allein sein und mich ausruhen und schlafen konnte. Ich hatte mich seit meiner Landung wieder erstaunlich gut erholt, aber ich neigte noch zu Nervosität und dazu, unter jeder großen Anstrengung zusammenzubrechen. Ich fühlte, ich hätte über die Insel gehen und mich beim Tiervolk niederlassen sollen, um mir so dessen Vertrauen zu sichern. Aber mir versagte das Herz. Ich ging an den Strand zurück, wandte mich nach Osten und wanderte zu einer Landzunge, von der aus eine schmale Düne aus Korallensand zum Riff hinaus verlief. Dort konnte ich mich hinsetzen und nachdenken, den Rücken zum Meer. Hier konnte ich nicht überrascht werden, und hier saß ich, das Kinn auf den Knien, die Sonne brannte mir auf den Kopf, die Angst in meinem Geiste wuchs, und ich überlegte, wie ich bis zur Stunde meiner Befreiung (wenn sie je anbrechen sollte) weiterleben könnte. Ich versuchte, die ganze Situation ruhig zu überblicken, aber es war unmöglich, die Sache ohne Aufregung zu betrachten.
Ich begann im Geist die Gründe von Montgomerys Verzweiflung Revue passieren zu lassen. »Sie werden sich ändern«, hatte er erklärt. »Sie werden sich sicher ändern.« Und Moreau – was hatte Moreau gesagt? »Das zähe Tierfleisch ist stärker, wächst allmählich wieder nach ...« Dann dachte ich wieder an das Hyänenschwein. Ich war überzeugt, daß die Bestie mich töten würde, wenn nicht ich sie tötete ... Der Sprecher des Gesetzes war tot – um so schlimmer! ... Sie wußten jetzt, daß wir mit den Peitschen erschlagen werden konnten, wie sie erschlagen wurden ...
Spähten sie schon aus den grünen Massen der Farne und Palmen da drüben zu mir her? Lauerten sie, bis ich ihnen über den Weg lief? Verschworen sie sich gegen mich? Was hatte ihnen das Hyänenschwein gesagt? Meine Phantasie vergaloppierte sich in einem Morast grundloser Befürchtungen.
Meine Gedankengänge wurden durch den Schrei von Meeresvögeln gestört, die auf einen schwarzen Gegenstand zuflogen, der in der Nähe der Ummauerung auf dem Sand gestrandet war. Ich wußte, was für ein Gegenstand es war, aber mir fehlte der Mut, zurückzugehen und die Vögel zu vertreiben. Ich begann in der entgegengesetzten Richtung den Strand entlangzugehen, um so zu der östlichen Ecke der Insel zu gelangen und mich der Schlucht mit den Hütten zu nähern, ohne mich den Gefahren des Dickichts auszusetzen.
Nachdem ich etwa eine halbe Meile am Strand zurückgelegt hatte, sah ich, daß einer meiner drei Tiermenschen aus den Büschen auf mich zukam. Ich war von meinen Einbildungen so nervös, daß ich sofort meinen Revolver zog. Selbst die versöhnlichsten Gesten des Geschöpfes konnten mich nicht beruhigen.
Es zögerte, als es sich näherte. »Geh weg«, rief ich. Die kriechende Haltung des Geschöpfes erinnerte sehr an einen Hund. Es zog sich ein wenig zurück, ganz wie ein Hund, den man nach Hause schickt, stand still und sah mich mit braunen Hundeaugen flehend an. »Geh weg«, wiederholte ich. »Komm mir nicht nahe.«
»Darf ich dir nicht nahe kommen?« fragte er.
»Nein. Geh weg«, beharrte ich und griff nach der Peitsche. Dann nahm ich die Peitsche zwischen die Zähne und bückte mich nach einem Stein, und damit vertrieb ich das Geschöpf.
So kam ich unbehelligt zur Schlucht des Tiervolks, versteckte mich zwischen dem Unkraut und dem Schilf, die diesen Spalt vom Meere trennten, und beobachtete die, welche erschienen. Ich versuchte, aus ihren Gesten und ihrer Erscheinung zu erkennen, wie Moreaus und Montgomerys Tod und die Zerstörung des Hauses des Schmerzes auf sie gewirkt hatte. Ich weiß jetzt, wie töricht meine Feigheit war. Wäre ich ebenso mutig gewesen wie am frühen Morgen, hätte ich Moreaus Zepter fassen und über das Tiervolk herrschen können. Aber ich versäumte die Gelegenheit und sank herab zur Stellung eines bloßen Führers unter meinesgleichen.
Gegen Mittag kamen einige Tiermenschen und hockten sich im Sand in die Sonne. Die gebieterischen Stimmen von Hunger und Durst siegten über meine Furcht. Ich kam aus den Büschen hervor und ging, den Revolver in der Hand, zu diesen sitzenden Gestalten hinunter. Eine, eine Wolfsfrau, wandte den Kopf und sah mich an; die anderen taten es ihr nach. Niemand versuchte aufzustehen und mich zu grüßen. Ich fühlte mich zu schwach und zu müde, um darauf zu bestehen, und ließ den Moment vorübergehen.
»Ich will etwas zu essen«, sagte ich beinahe entschuldigend, als ich näher kam.
»In den Hütten gibt es zu essen«, sagte ein Ochsenebermensch schläfrig und wandte seinen Blick von mir.
Ich ging an ihnen vorbei und in den Schatten der fast verlassenen Schlucht hinunter. Der widerliche Geruch schlug mir entgegen. In einer leeren Hütte aß ich einige Früchte, nachdem ich ein paar halbvermoderte Zweige und Ruten vor den Eingang gelehnt und mich mit dem Gesicht diesem zugewendet hatte; ich behielt den Revolver in der Hand, und da die Erschöpfung der letzten dreißig Stunden mich übermannte, überließ ich mich einem leichten Schlummer, denn ich vertraute darauf, daß die lockere Barrikade, die ich errichtet hatte, sofort zusammenbrechen und genug Geräusch verursachen würde, um mich vor einer Überrumpelung zu schützen.
21. Die Verwilderung des Tiervolks
So wurde ich einer vom Tiervolk auf Dr. Moreaus Insel. Als ich erwachte, war es dunkel um mich. Der Arm schmerzte mich. Ich setzte mich auf und fragte mich zunächst, wo ich denn eigentlich war. Draußen hörte ich rauhe Stimmen. Dann sah ich, daß meine Barrikade fort und der Eingang zur Hütte frei war. Der Revolver lag noch in meiner Hand.
Ich hörte dicht neben mir etwas atmen und sah, daß da jemand kauerte. Ich hielt den Atem an und versuchte zu sehen, wer es war. Das Wesen begann sich langsam zu bewegen. Dann strich mir etwas Weiches und Warmes und Feuchtes über die Hand.
All meine Muskeln zogen sich zusammen. Ich riß meine Hand weg. Ein Schreckensschrei blieb mir in der Kehle stecken. Dann wurde mir gerade genügend klar, was geschehen war, so daß ich meine Finger am Revolver ruhen ließ.
»Wer ist da?« fragte ich mit heiserem Flüstern, den Revolver noch erhoben.
»Ich, Herr.«
»Wer bist du?«
»Sie sagen, jetzt gibt es keinen Herrn mehr. Aber ich weiß, ich weiß. Ich trug die Leichen ins Meer, o Mann, der ins Meer ging, die Leichen derer, die du erschlagen hast. Ich bin dein Sklave, Herr.«
»Bist du der, dem ich am Strande begegnet bin?« fragte ich.
»Eben der, Herr.«
Das Geschöpf war offenbar treu und harmlos, denn es hätte mich im Schlaf überfallen können. »Es ist gut«, sagte ich und hielt ihm die Hand zu einem weiteren leckenden Kuß hin. Ich wurde mir darüber klar, was seine Gegenwart bedeutete, und mein Mut flutete zurück. »Wo sind die anderen?« fragte ich.
»Sie sind wahnsinnig. Sie sind Narren«, sagte der Hundemensch. »Eben jetzt reden sie da draußen. Sie sagen: der Herr ist tot; der andere mit der Peitsche ist tot. Der andere, der ins Meer ging, ist – wie wir sind. Wir haben keinen Herrn, keine Peitschen, kein Haus des Schmerzes mehr. Das ist zu Ende. Wir lieben das Gesetz und wollen es halten; aber nie wieder gibt es Schmerz, Herren oder Peitschen. So sagen sie. Aber ich weiß, Herr, ich weiß.«
Ich tastete ins Dunkel und tätschelte dem Hundemenschen den Kopf. »Es ist gut«, sagte ich noch einmal.
»Bald wirst du sie alle erschlagen«, meinte der Hundemensch.
»Bald«, antwortete ich, »werde ich sie alle erschlagen. Alle, außer denen, die du verschonst, alle sollen erschlagen werden.«
»Was der Herr töten will, das tötet der Herr«, sagte der Tiermensch mit einer gewissen Befriedigung in der Stimme.
»Und damit ihre Sünden wachsen«, sagte ich, »laß sie in ihrer Torheit leben, bis ihre Zeit reif ist. Laß sie nicht wissen, daß ich der Herr bin.«
»Des Herrn Wille ist lieblich«, sagte der Hundemensch.
»Aber einer hat gesündigt«, erklärte ich. »Ihn will ich töten, wo immer ich ihn finde. Wenn ich dir sage: ›Das ist er‹, dann sieh zu, daß du auf ihn stürzt. – Und jetzt will ich zu den Männern und Frauen gehen, die versammelt sind.«
Einen Moment wurde der Eingang der Hütte verdunkelt, als der Hundemensch hinausging. Dann folgte ich und stellte mich fast genau dort auf, wo ich gestanden war, als ich Moreau und seinen Hetzhund während meiner Verfolgung gehört hatte. Aber jetzt war es Nacht, und die ganze miasmatische Schlucht rings um mich war schwarz, und dahinter sah ich statt eines grünen, sonnenbeleuchteten Hangs ein rotes Feuer vor mir, vor dem sich groteske, bucklige Gestalten hin und her bewegten. Weiter hinten standen die dichten Bäume wie eine schwarze Mauer. Der Mond glitt gerade am Rand der Schlucht entlang, und wie eine Stange stieg vor seinem Gesicht die Rauchsäule empor, die ewig aus der Fumarole der Insel strömte.
»Geh neben mir«, sagte ich, während ich mich aufraffte, und Seite an Seite gingen wir den schmalen Pfad hinunter, ohne uns um die Wesen zu kümmern, die uns aus den Hütten heraus ansahen.
Keiner am Feuer erhob sich, um mich zu grüßen. Die meisten beachteten mich – ostentativ – nicht. Ich blickte mich nach dem Hyänenschwein um, aber es war nicht da. Es kauerten insgesamt vielleicht zwanzig Tiermenschen dort und starrten ins Feuer oder sprachen miteinander.
»Er ist tot, er ist tot, der Herr ist tot«, sagte die Stimme des Affenmenschen rechts von mir. »Das Haus des Schmerzes – es gibt kein Haus des Schmerzes mehr.«
»Er ist nicht tot«, sagte ich mit lauter Stimme. »Eben jetzt beobachtet er uns.«
Das erschreckte sie. Zwanzig Augenpaare blickten mich an.
»Das Haus des Schmerzes ist fort«, sagte ich. »Es wird wiederkommen. Den Herrn könnt ihr nicht sehen. Und doch horcht er euch eben jetzt zu.«
»Wahr, wahr!« sagte der Hundemensch.
Die Tiermenschen wurden durch meine Sicherheit schwankend. Ein Tier kann wild und listig sein, aber um eine Lüge zu sagen, dazu gehört ein wirklicher Mensch. »Der Mann mit dem verbundenen Arm spricht ein seltsames Wort«, sagte einer vom Tiervolk.
»Ich sage euch, es ist so«, erklärte ich. »Der Herr und das Haus des Schmerzes werden wiederkommen. Wehe dem, der das Gesetz bricht!«
Sie blickten einander neugierig an. Mit gespielter Gleichgültigkeit begann ich müßig mit meinem Beil auf den Boden vor mir zu schlagen. Ich merkte, wie sie nach den tiefen Schnitten sahen, die ich in den Rasen machte.
Dann erhob der Satyr einen Einwand; ich antwortete ihm, und dann warf eines der gefleckten Wesen etwas ein, und es entspann sich eine lebhafte Diskussion um das Feuer herum. Mit jedem Moment fühlte ich mich sicherer. Ich sprach jetzt weniger stockend, ohne die Aufregung, die mich anfangs gehemmt hatte. Im Verlauf von etwa einer Stunde hatte ich wirklich einige von den Tiermenschen von der Wahrheit meiner Behauptungen überzeugt und die meisten anderen dazu gebracht, an ihrer Ansicht zu zweifeln. Ich hielt die Augen offen, um meinen Feind, das Hyänenschwein, zu entdecken, aber es erschien nicht. Hin und wieder erschreckte mich eine verdächtige Bewegung, aber meine Zuversicht wuchs rasch. Als dann der Mond vom Zenit niederstieg, begann einer der Zuhörer nach dem anderen zu gähnen (und sie zeigten im Licht des sinkenden Feuers die seltsamsten Zähne), und einer nach dem anderen zogen sie sich in die Höhlen der Schlucht zurück. Und ich fürchtete die Stille und das Dunkel und ging mit ihnen, denn ich wußte, ich war bei mehreren von ihnen sicherer als bei einem allein.
So begann der längere Teil meines Aufenthalts auf Doktor Moreaus Insel. Aber von dieser Nacht bis zum Schluß geschah, abgesehen von unzähligen, kleinen, unangenehmen Einzelheiten und von der Qual einer unaufhörlichen Unruhe, nur eines, was zu berichten ist. Also will ich nur von diesem entscheidenden Ereignis erzählen, das sich während der zehn Monate zutrug, die ich als Vertrauter dieser halbmenschlichen Bestien verlebte. Vieles haftet mir im Gedächtnis, was ich berichten könnte, Dinge, die zu vergessen ich freudig meine rechte Hand hergäbe. Rückblickend erscheint es mir seltsam, wie schnell ich mich an die Art dieser Wesen anpaßte und meine Zuversicht wiedergewann. Ich bekam natürlich meinen Streit, und ich könnte noch ein paar Zahnnarben herzeigen, aber die Tiermenschen hatten bald einen gesunden Respekt vor meiner Art, Steine zu werfen, und vor meinem Beil. Und mein Bernhardinerhundemensch war mir ein treuer Freund und leistete mir unschätzbare Dienste. Die Rangordnung der Tiermenschen gründete sich einfach auf die Fähigkeit, möglichst tiefe Wunden beizubringen. Ja, ich kann – ohne Eitelkeit, hoffe ich – sagen, daß ich unter ihnen so etwas wie eine hervorragende Stellung einnahm. Einer oder zwei von ihnen, die ich bei verschiedenen Streitigkeiten ziemlich arg zugerichtet hatte, trugen mir das nach, aber ihr Groll machte sich, meist hinter meinem Rücken und in sicherer Entfernung wegen meiner Geschosse, in Grimassen Luft.
Das Hyänenschwein mied mich, und ich war stets auf der Hut vor ihm. Mein treuer Hundemensch haßte und fürchtete es intensiv. Ich glaube wirklich, daß das die Wurzel seiner Anhänglichkeit war. Mir war bald klar, daß jenes Ungeheuer Blut gekostet hatte wie der Leopardenmensch. Es bereitete sich ein Lager irgendwo im Walde und wurde zum Einzelgänger. Einmal versuchte ich, das Tiervolk zur Jagd darauf zu bewegen, aber mir fehlte die notwendige Autorität. Immer wieder versuchte ich, die Höhle des Hyänenschweins zu beschleichen und es unvermutet zu überfallen, aber stets war es auf der Hut, sah oder witterte mich und lief fort. Und es machte durch sein Lauern jeden Waldpfad für mich und meine Verbündeten gefährlich. Der Hundemensch wagte kaum, meine Seite zu verlassen.
Im ersten Monat war das Tiervolk so menschlich, daß ich für zwei oder drei Tierwesen außer meinem Hundefreund sogar freundschaftliche Duldung empfand. Das kleine, rosige Faultiergeschöpf entfaltete eine sonderbare Liebe zu mir und begann, mir überallhin zu folgen. Der Affenmensch jedoch plagte mich. Er nahm aufgrund seiner fünf Finger an, er sei meinesgleichen, und schnatterte ewig auf mich ein, schnatterte heillosen Unsinn. Eines an ihm unterhielt mich ein wenig. Er hatte eine phantastische Art, neue Worte zu bilden. Ich glaube, er stellte sich vor, sinnlose Namen herzuplappern sei gleichbedeutend mit richtigem Sprechen. Das nannte er: »große Dinge«, zum Unterschied von »kleinen Dingen« – den vernünftigen Alltagsinteressen des Lebens. Wenn ich einmal eine Bemerkung machte, die er nicht verstand, dann lobte er sie sehr, bat mich, sie noch einmal zu sagen, lernte sie auswendig und wiederholte sie – hier und dort mit einem verkehrten Wort – allen sanfteren vom Tiervolk. Was klar und verständlich war, verachtete er. Ich erfand ein paar sehr sonderbare »große Dinge« für seinen speziellen Gebrauch. Ich glaube jetzt, er war das albernste Geschöpf, das mir je begegnet ist; er hatte auf die wundervollste Art die verschiedensten Torheiten des Menschen entwickelt, ohne eine Spur von der natürlichen Narrheit eines Affen zu verlieren.
So ging es mir in den ersten Wochen meiner Einsamkeit unter diesen Bestien. In dieser Zeit achteten sie die vom Gesetz eingeführten Sitten und benahmen sich mit Anstand. Einmal fand ich wieder ein zerrissenes Kaninchen – das Hyänenschwein war der Täter, davon bin ich überzeugt –, aber das war alles. Erst gegen Mai merkte ich eine zunehmende Veränderung in ihrer Sprache und Haltung; ihre Aussprache wurde heiserer, und sie redeten auch nicht mehr so gerne. Das Schnattern meines Affenmenschen nahm an Umfang zu, wurde aber immer unverständlicher, immer affenartiger. Einige von den anderen schienen ihre Gewalt über die Sprache ganz zu verlieren, obgleich sie noch erfaßten, was ich ihnen sagte. Kann man sich vorstellen, wie die einst klare und genaue Sprache gleichsam ausgehöhlt wird, Gestalt und Klangwert verliert und wieder zu bloßen Schallmassen wird! Auch der aufrechte Gang bereitete den Tiermenschen wachsende Schwierigkeit. Obgleich sie sich offenbar schämten, traf ich doch hin und wieder den einen oder anderen, wie er gerade auf den Zehen und Fingerspitzen lief und ganz außerstande war, sich wieder aufzurichten. Sie bewegten sich plumper, tranken schlürfend, aßen nagend, wurden mit jedem Tag gemeiner. Ich verstand besser denn je, was Moreau mit »zäher Tiernatur« gemeint hatte. Sie wurden wieder zu Tieren, und zwar sehr rasch.
Einige von ihnen – die Pioniere waren, wie ich mit einiger Überraschung bemerkte, lauter Weibchen – begannen den Anstand zu mißachten – zumeist absichtlich. Andere verstießen sogar öffentlich gegen die Institution der Monogamie. Die Tradition des Gesetzes verlor sichtbar an Kraft. Mein Hundemensch wurde unmerklich immer mehr wieder zum Hund; Tag für Tag wurde er stummer, behaarter. Ich merkte den Übergang vom beinahe menschlichen Gefährten an meiner Seite zum schnappenden Hund kaum. Da die Gleichgültigkeit und Desorganisation von Tag zu Tag zunahm, wurde die Schlucht mit ihren Wohnungen, die nie sehr sauber gewesen waren, so ekelhaft, daß ich sie verließ, über die Insel ging und mir mitten in den Ruinen von Moreaus Behausung aus Zweigen eine Hütte baute. Die Erinnerung an den Schmerz, fand ich, schützte den Ort am besten vor dem Tiervolk.
Es wäre unmöglich, jede Phase der Rückwandlung dieser Ungeheuer im einzelnen zu schildern; zu erzählen, wie sie Tag für Tag die Ähnlichkeit mit dem Menschen verloren; wie sie die Bandagen und Hüllen abwarfen und schließlich jeden Fetzen von Kleidung fallen ließen; wie sich das Haar auf ihren entblößten Gliedern auszubreiten begann; wie ihre Stirnen niedriger wurden und ihre Gesichter vortraten; wie mir die quasimenschliche Vertrautheit, die ich in den ersten Monaten meiner Einsamkeit gegenüber einigen von ihnen empfunden hatte, in der Erinnerung ein Greuel wurde.
Der Wandel war langsam und unvermeidlich. Für sie wie für mich kam er ohne bestimmten Anstoß. Ich bewegte mich noch immer ungefährdet unter ihnen, weil die Rückverwandlung in das Tierische so allmählich vor sich ging. Aber ich begann zu fürchten, daß der letzte, entscheidende Ruck nun bald kommen müsse. Mein Bernhardinermensch folgte mir zur Ummauerung, und seine Wachsamkeit ermöglichte es mir, zuzeiten beinahe in Frieden zu schlafen. Das kleine Faultierwesen wurde scheu und verließ mich, um noch einmal zu seinem natürlichen Leben unter den Baumzweigen zurückzukehren.
Natürlich entarteten diese Geschöpfe nicht zu solchen Tieren, wie der Leser sie in zoologischen Gärten gesehen hat – zu gewöhnlichen Bären, Wölfen, Tigern, Ochsen, Schweinen und Affen. Immer noch hatte ein jedes etwas Fremdartiges an sich; in jedem hatte Moreau ein oder mehrere Tiere miteinander verschmolzen; eins war vielleicht hauptsächlich bärenartig, ein anderes katzenartig, ein drittes stierartig, aber jedes war mit anderen Geschöpfen vermischt – eine Art allgemeinen Tiertums drang aber durch die spezifischen Anlagen hindurch. Und die verschwindenden Fetzen des Menschlichen erschreckten mich immer noch hin und wieder, vielleicht ein momentanes Wiedererwachen der Sprache, eine unerwartete Behendigkeit der Vorderfüße, ein erbärmlicher Versuch, aufrecht zu gehen.
Auch ich muß seltsame Wandlungen durchgemacht haben. Die Kleider hingen als gelbe Fetzen an mir herab, durch deren Risse die wettergegerbte Haut leuchtete. Mein Haar wurde lang und verfilzte sich. Man sagt mir, meine Augen hätten noch immer einen seltsamen Glanz, seien wachsam und flink.
Zuerst verbrachte ich die Tagesstunden am südlichen Strand, wo ich nach einem Schiff ausschaute, auf ein Schiff hoffte und um ein Schiff betete. Ich rechnete darauf, die Ipecacuanha werde im Lauf des Jahres zurückkommen, aber sie kam nicht. Fünfmal sah ich Segel und dreimal Rauch, aber nie berührte ein Schiff die Insel. Ich hatte stets ein Feuer bereit, aber ohne Zweifel erklärte man es sich, sofern man es sah, immer mit dem vulkanischen Charakter der Insel.
Erst im September oder Oktober begann ich daran zu denken, ein Floß zu bauen. Mittlerweile war mein Arm geheilt, und meine beiden Hände waren wieder benutzbar. Zuerst fand ich meine Hilflosigkeit entsetzlich. Ich hatte nie Zimmermannsarbeit oder dergleichen getan, und ich verbrachte Tag um Tag damit, Holz zu fällen und zusammenzubinden. Ich hatte keine Taue und fand nichts, womit ich Stricke hätte machen können; keins der zahlreichen Schlinggewächse war geschmeidig und stark genug, und all meine wissenschaftliche Bildung half mir nichts. Ich verbrachte mehr als zwei Wochen damit, unter den schwarzen Ruinen der Ummauerung und auf dem Strande, wo die Boote verbrannt worden waren, nach Nägeln und anderen kleinen Metallstücken zu suchen, die nützlich sein konnten. Hin und wieder beobachtete mich ein Tiergeschöpf und sprang davon, wenn ich es rief. Es kam eine Zeit der Gewitterstürme und heftigen Regen, die meine Arbeit sehr verzögerte – aber schließlich wurde mein Floß fertig.
Ich war entzückt davon. Aber mit einem Mangel an praktischem Sinn, der mir stets alles verdorben hat, hatte ich es eine Meile oder mehr vom Strand entfernt gebaut, und ehe ich es zum Wasser hinuntergeschleppt hatte, war das Ding in Stücke gefallen. Vielleicht ist es gut, daß es mir erspart blieb, es vom Stapel zu lassen. Aber damals war meine Verzweiflung über den Mißerfolg so groß, daß ich einige Tage einfach am Strande saß und aufs Wasser starrte und an den Tod dachte.
Aber ich wollte nicht sterben, und ein Zwischenfall warnte mich auf unmißverständliche Weise davor, die Tage so verstreichen zu lassen – denn jeder neue Tag erhöhte die Gefährlichkeit der Tiergeschöpfe. Ich lag im Schatten der Ummauerung und starrte aufs Meer hinaus, als ich erschrak, weil etwas Kaltes die Haut meiner Ferse berührte. Ich fuhr herum und sah, wie mir das kleine, rosige Faultiergeschöpf ins Gesicht blinzelte. Es hatte die Sprache und die Behendigkeit längst verloren, und das strähnige Haar des kleinen Tiers wurde von Tag zu Tag dichter, und seine steifen Klauen wuchsen schiefer. Es machte ein stöhnendes Geräusch, als es meine Aufmerksamkeit geweckt hatte, ging ein kleines Stück zu den Büschen hin und blickte zu mir zurück.
Zuerst verstand ich nicht, aber dann schien mir, als wolle es, ich sollte ihm folgen, und schließlich ging ich ihm langsam nach – denn der Tag war heiß. Als es die Bäume erreichte, kletterte es hinauf, denn unter den schwingenden Lianen konnte es besser wandern als auf dem Boden.
Und plötzlich stieß ich auf einem zertrampelten Rasenfleck auf eine furchtbare Gruppe. Mein Bernhardinergeschöpf lag tot auf dem Boden, und bei seiner Leiche kauerte das Hyänenschwein, riß mit mißgestalteten Klauen an dem zitternden Fleisch und nagte daran und knurrte vor Vergnügen. Als ich herankam, hob das Ungeheuer die flackernden Augen zu mir auf, seine Lippen traten bebend von den blutbefleckten Zähnen zurück, und es knurrte drohend. Es fürchtete sich nicht, noch schämte es sich; die letzte Spur menschlicher Beimischung war verschwunden. Ich ging noch einen Schritt weiter, blieb stehen und zog meinen Revolver.
Die Bestie machte keine Anstalten zum Rückzug. Aber sie legte die Ohren zurück, ihr Haar sträubte sich, und der Leib krümmte sich zusammen. Ich zielte zwischen die Augen und feuerte. Im selben Moment sprang das Ungeheuer auf mich los, und ich wurde wie ein Kegel gefällt. Es griff mit seinen verkrüppelten Klauen nach mir und schlug mich ins Gesicht. Sein Sprung trug es über mich weg. Ich fiel unter seinem Hinterleib, aber zum Glück hatte ich es getroffen, und es war im Sprung verendet. Ich kroch unter der unsauberen Last hervor und stand zitternd auf und starrte die zuckende Leiche an. Diese Gefahr wenigstens war vorüber. Aber dies, das war mir klar, war nur der erste einer Reihe von Rückfällen, die kommen mußten.
Ich verbrannte beide Leichen auf einem Scheiterhaufen aus Buschholz. Jetzt freilich sah ich, daß mein Tod nur eine Frage der Zeit wäre, wenn ich die Insel nicht verließe. Die Bestien waren mittlerweile mit ein oder zwei Ausnahmen aus der Schlucht fortgezogen und hatten sich nach ihrem Geschmack in den Dickichten der Insel ein Lager gesucht. Nur wenige schweiften am Tage umher; die meisten schliefen, und einem Neuankömmling wäre die Insel verlassen erschienen; aber nachts erdröhnte die Luft häßlich von ihren Rufen und ihrem Geheul. Ich hatte fast Lust, ein Blutbad unter ihnen anzurichten – Fallen zu bauen oder mit meinem Messer gegen sie zu kämpfen. Hätte ich genug Patronen besessen, so hätte ich nicht gezögert, mit dem Töten zu beginnen. Jetzt konnten von den gefährlichen Fleischfressern kaum noch zwanzig übrig sein; die tapfersten von ihnen waren tot. Nach dem Tode dieses meines armen Hundes, meines letzten Freundes, nahm ich auch bis zu einem gewissen Grade die Gewohnheit an, am Tage zu schlafen, um nachts auf der Hut zu sein. Ich baute meine Höhle in den Mauern von Moreaus Haus so um, daß alles, was etwa einzudringen versuchte, beträchtlichen Lärm machen mußte. Die Geschöpfe hatten auch vergessen, wie man Feuer machte, und ihre Furcht davor zurückgewonnen. Ich versuchte noch einmal, diesmal beinahe leidenschaftlich, ein Floß für meine Flucht zusammenzuzimmern.
Ich stieß auf tausend Schwierigkeiten. Ich bin ein außerordentlich ungeschickter Mensch, aber schließlich gelang es mir doch, ein halbwegs solides Floß zusammenzubasteln, denn diesmal gab ich auf die Stärke acht. Das einzige unüberwindliche Hindernis war, daß ich kein Gefäß für Trinkwasser hatte. Ich hätte mich sogar in der Töpferei versucht, aber auf der Insel gab es keinen Ton. Ich ging grübelnd hin und her und versuchte mit aller Macht, diese letzte Schwierigkeit zu lösen. Bisweilen gab ich mich wilden Ausbrüchen der Wut hin und zerhackte und zersplitterte in meiner unerträglichen Gereiztheit irgendeinen unglücklichen Baum. Aber mir fiel nichts ein.
Und dann kam ein Tag, ein wundervoller Tag, den ich in Ekstase verbrachte. Ich sah ein Segel im Südwesten, das kleine Segel eines Schoners, und alsbald zündete ich einen großen Haufen von Buschholz an und stand in dessen Hitze und in der Hitze der Mittagssonne daneben und spähte nach dem Schiff. Den ganzen Tag lang beobachtete ich dieses Segel und aß und trank nichts, so daß mir der Kopf wirbelte; und die Tiere kamen und starrten mich an, und es war, als wunderten sie sich, und sie gingen wieder weg. Das Boot war noch fern, als die Nacht kam. Die ganze Nacht hindurch rackerte ich mich ab, um mein Feuer hell und hoch zu halten, und die Augen der Bestien leuchteten verwundert aus dem Dunkel. In der Morgendämmerung lag das Segel näher, und ich sah, daß es sich um das schmutzige Rahsegel eines kleinen Boots handelte. Meine Augen waren müde, und ich starrte und konnte ihnen nicht glauben. Zwei Menschen waren im Boot, der eine saß im Bug, der andere am Steuer. Aber das Boot segelte merkwürdig. Der Bug war nicht vor den Wind gestellt; es gierte hin und her und fiel ab.
Als der Tag heller wurde, winkte ich den Leuten mit dem letzten Fetzen meiner Jacke; aber sie beachteten mich nicht und saßen einander noch immer still gegenüber. Ich ging zum niedrigsten Punkt des niedrigen Vorgebirges und gestikulierte und rief. Es kam keine Antwort, und das Boot beharrte in seinem ziellosen Lauf und trieb langsam, sehr langsam in die Bucht. Plötzlich flog aus dem Boot ein großer weißer Vogel auf, und keiner der beiden Männer rührte sich oder beachtete ihn. Der Vogel kreiste herum und schwebte mit weit ausgebreiteten Flügeln über mich hin.
Da hörte ich auf zu rufen und setzte mich auf der Landzunge hin und stützte das Kinn in die Hände und starrte hinaus. Langsam, langsam trieb das Boot nach Westen vorbei. Ich wäre hinausgeschwommen, aber irgend etwas, eine kalte, unbestimmte Furcht hielt mich zurück. Nachmittags wurde der Kahn von der Flut hereingespült, und er blieb hundert Meter westlich von den Ruinen der Ummauerung liegen.
Die Männer darin waren tot, waren schon so lange tot, daß sie in Stücke fielen, als ich das Boot auf die Seite kippte und sie herauszerrte. Einer hatte einen Schopf roten Haars wie der Kapitän der Ipecacuanha, und auf dem Boden des Boots lag eine schmutzige weiße Mütze. Als ich bei dem Boot stand, kamen drei der Bestien aus den Büschen geschlichen und schnüffelten an mir herum. Mich überkam einer meiner Ekelanfälle. Ich stieß das kleine Boot den Strand hinunter und kletterte an Bord. Zwei von den Bestien waren Wolftiere, und sie kamen mit bebenden Nüstern und glitzernden Augen heran; die dritte war das furchtbare Mischwesen aus Bär und Bulle.
Als ich sie so herankommen sah, und sie einander anknurren hörte, befiel mich ein wahnsinniges Grauen. Ich wandte ihnen den Rücken zu, strich das Segel und begann aufs Meer hinaus zu paddeln. Ich konnte es nicht über mich bringen, zurückzublicken.
Aber ich blieb diese Nacht zwischen Riff und Insel liegen, und am nächsten Morgen steuerte ich die Mündung des Baches an und füllte das leere Faß an Bord mit Wasser. Dann sammelte ich mit meinem letzten Rest an Geduld einen Vorrat an Früchten und tötete mit meinen drei letzten Patronen zwei Kaninchen. Währenddessen hatte ich das Boot aus Furcht vor den Ungeheuern an einem Vorsprung des Riffs verankert.
22. Der Mensch allein
Am Abend fuhr ich los und trieb mit einem leichten Wind aus Südwesten langsam und stetig aufs Meer hinaus, und die Insel wurde kleiner und kleiner, und die schlanke Feuersäule schrumpfte in der Hitze des Sonnenuntergangs zu einer immer dünner werdenden Linie zusammen. Der Ozean stieg rings um mich und verbarg jenen niedrigen, dunklen Fleck vor meinen Augen. Das Tageslicht, die Glorie der Sonne, strömte zögernd aus dem Himmel ab, wurde wie ein leuchtender Vorhang beiseite gezogen, und schließlich blickte ich in jenen blauen Abgrund der Unendlichkeit, den der Sonnenschein verbirgt, und sah die schwebenden Scharen der Sterne. Das Meer war still, der Himmel war still; ich war allein mit der Nacht und der Stille.
So trieb ich drei Tage lang, aß und trank sparsam, sann über alles nach, was mir begegnet war, und wünschte gar nicht sehr, wieder Menschen zu sehen. Ein einziger unsauberer Fetzen hing an mir herab, mein Haar war ein dichtes Gewirr. Ohne Zweifel hielten meine Finder mich für einen Wahnsinnigen. Es ist seltsam, aber ich empfand keinen Wunsch, zu den Menschen zurückzukehren. Ich war nur froh, von der Scheußlichkeit der Inselungeheuer fort zu sein. Und am dritten Tage las mich eine Brigg auf, die von Apia nach San Francisco unterwegs war. Weder der Kapitän noch der Maat wollten meine Erzählung glauben, und sie meinten, Einsamkeit und Gefahr hätten mich wahnsinnig gemacht. Und aus Furcht, andere würden derselben Meinung sein, erzählte ich mein Abenteuer nicht weiter und sagte, ich erinnerte mich an nichts, was mir zwischen dem Untergang der Lady Vain und dem Zeitpunkt, an dem ich aufgefischt wurde, zugestoßen war.
Ich hatte mit äußerster Umsicht zu handeln, um mich vor dem Verdacht des Wahnsinns zu bewahren. Die Erinnerung an das Gesetz, an die beiden toten Seeleute, an die Hinterhalte des Dunkels, an die Leiche im Schilf verfolgte mich. Und so unnatürlich es scheint, mit meiner Rückkehr zu den Menschen verstärkten sich nicht Zuversicht und Sympathie, die ich erwartet hatte, sondern jene Ungewißheit und Furcht, die ich während meines Aufenthaltes auf der Insel erlebt hatte. Niemand wollte mir glauben, ich kam den Menschen beinahe so wunderlich vor, wie ich dem Tiervolk vorgekommen war. Ich habe vielleicht von der natürlichen Wildheit meiner Gesellschaft einiges angenommen.
Man sagt, die Angst sei eine Krankheit, und irgendwie kann ich bezeugen, daß nun seit mehreren Jahren eine rastlose Furcht in meinem Geiste wohnt, eine rastlose Furcht, wie sie etwa ein halbgezähmtes Löwenjunges fühlen mag. Meine Störung nahm die seltsamste Form an. Ich konnte nicht wirklich glauben, daß die Männer und Frauen, denen ich begegnete, nicht auch nur Angehörige eines anderen, noch erträglich menschlichen Tiervolks waren, Tiere, die ebenfalls alsbald zurückgleiten müßten, erst dieses tierische Zeichen zeigen würden und dann jenes. Aber ich habe meinen Fall einem sehr tüchtigen Menschen anvertraut, der auch Moreau gekannt hatte und meiner Geschichte halb zu glauben schien, einem Spezialisten für Geisteskrankheiten – und er hat mir gewaltig geholfen.
Obgleich ich nicht erwarte, daß mich das Grauen jener Insel jemals ganz verlassen wird, so liegt es doch meistens weit im Hinter gründe meines Geistes – als eine bloße ferne Wolke, eine Erinnerung an ein schwaches Mißtrauen; aber manchmal kommen Zeiten, da breitet sich die kleine Wolke aus und verdunkelt den ganzen Himmel. Dann sehe ich mich nach meinen Mitmenschen um. Und ich gehe in Furcht einher. Ich sehe scharfe und helle Gesichter, andere stumpf oder gefährlich und wieder andere unstet und unaufrichtig; keine, die die ruhige Herrschaft einer vernünftigen Seele verraten. Ich habe die Empfindung, als steige das Tier in ihnen empor, deutlicher als bei den Bewohnern der Insel. Ich weiß, daß dies eine Täuschung ist, daß diese Männer und Frauen um mich wirkliche Männer und Frauen sind, immer Männer und Frauen waren, vollständig vernünftige Wesen, voll von menschlichen Wünschen und zärtlicher Sorge, emanzipiert vom Instinkt und Sklaven keines phantastischen Gesetzes – ganz andere Wesen als das Tiervolk. Und doch schrecke ich vor ihnen zurück, vor ihren neugierigen Blicken, ihren Fragen und ihrer Hilfe; und ich sehne mich von ihnen fort und möchte allein sein.
Aus diesem Grunde lebe ich nahe am weitem, freien Unterland, und ich kann dorthin entfliehen, wenn diese Wolke über mir ist; und dann erscheint mir das Unterland unter dem windgepeitschten Himmel lieblich und frisch. Als ich in London lebte, war das Grauen nahezu unerträglich; ich konnte nicht von den Menschen fortkommen; ihre Stimmen drangen durch die Fenster; verschlossene Türen waren nur ein schwacher Schutz. Ich ging wohl auf die Straßen hinaus, um meine Täuschung zu bekämpfen, und herumschweifende Weiber miauten mir nach, Männer blickten mich verstohlen und mißtrauisch an, müde, blasse Arbeiter gingen hustend vorbei, mit stumpfen Augen und schnellen Schritten, wie verwundetes Wild, das schweißt, alte Leute, gebeugt und matt, zogen an mir vorbei und sprachen murmelnd mit sich selber, und ein zerlumpter Schwarm höhnender Kinder folgte auf nichts achtend hinterdrein. Dann floh ich in eine Kapelle, und selbst dort war mir so, als schwatze der Priester »Große Dinge«, wie es der Affenmensch getan hatte; oder in eine Bibliothek, und dort schienen mir die gespannten Gesichter über den Büchern nur wie geduldige Geschöpfe, die auf Beute warteten. Besonders ekelhaft waren mir die leeren, ausdruckslosen Gesichter der Leute in Zügen und Omnibussen; sie schienen mir so wenig meine Mitgeschöpfe zu sein wie es Leichen wären, so daß ich nicht zu reisen wagte, wenn ich nicht sicher war, allein zu sein. Und sogar ich schien mir kein vernünftiges Wesen zu sein, sondern nur ein Tier, das von einer seltsamen Verwirrung in seinem Gehirn geplagt wird, so daß es wie ein von der Drehkrankheit befallenes Schaf allein wandern muß.
Diese Stimmung befällt mich jetzt aber – ich danke Gott – seltener. Ich habe mich aus dem Wirrwarr der Städte und Volksmengen zurückgezogen und verbringe meine Tage mit dem Lesen gelehrter Bücher – heller Fenster in diesem unserem Leben, erleuchtet von den glänzenden Seelen der Menschen. Ich sehe wenig Fremde und habe nur einen kleinen Haushalt. Meine Tage widme ich der Lektüre und chemischen Experimenten, und ich verbringe manche der klaren Nächte mit dem Studium der Astronomie. Bei der Betrachtung der glitzernden Scharen des Himmels habe ich das Gefühl – freilich weiß ich nicht wie und warum – unendlichen Friedens und Schutzes. Dort, meine ich, in den ungeheuren und ewigen Gesetzen des Stoffs, und nicht in den täglichen Sorgen und Sünden und Unruhen der Menschen, muß für das, was mehr als Tier in uns ist, Trost und Hoffnung liegen. Ich hoffe – sonst könnte ich nicht leben. Und so endet meine Erzählung – in Hoffnung und Einsamkeit.